Auf dieser Seite finden Sie aktuelle Mandanteninformationen. Wenn Sie recherchieren oder ältere Ausgaben betrachten möchten, können Sie hier unser Archiv aufrufen.
Zum Thema Arbeitsrecht
- “Er oder wir!”: Kündigung darf erst letztes Mittel sein, wenn andere Konfliktlösungsmöglichkeiten nicht greifen
- Außergewöhnlicher Umstand: Keine Kündigung nach unverschuldetem Verlust des Aufenthaltstitels und Visumproblemen
- Beschwerde oder Rechtsanspruch? Betriebsrat darf bei Abmahnung keine Einigungsstelle einschalten
- Personalverantwortung vonnöten: Ein “Direktor” im Titel macht noch lange keine Führungskraft
- Rechtsextreme Chats: Anwärter nicht reif und gefestigt genug für Polizeidienst
Wenn auch nur einer unter vielen stört, kann dieser den gesamten Betriebsablauf durcheinanderbringen. Ob es ausreicht, dass sich ein Großteil der Belegschaft einig ist, dass ein Kollege gehen müsse, um den betrieblichen Frieden wiederherzustellen, musste kürzlich das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) entscheiden. Man ahnt: Eine sogenannte Druckkündigung ist nicht so einfach.
Ein Mann arbeitete seit über zehn Jahren in einem Unternehmen und hatte immer wieder Streit mit den Kollegen. Irgendwann wurde die Stimmung so angespannt, dass einige Kollegen drohten, zu kündigen, falls der Mann nicht gehen müsse. Der Arbeitgeber sprach mit dem Mann über eine einvernehmliche Trennung, der der Mann jedoch nicht zustimmte. Daher übernahm dies der Arbeitgeber, der dem Mann fristlos mit sogenannter Auslauffrist kündigte – also mit einer Frist ähnlich wie bei einer normalen Kündigung. Der Mann wehrte sich dagegen vor Gericht.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch später das LAG gaben dem Arbeitnehmer recht. Das Gericht erklärte: Eine derartige Druckkündigung sei nur erlaubt, wenn der Arbeitgeber vorher alles getan habe, um die Situation zu beruhigen. Dazu gehöre, mit allen Beteiligten zu sprechen und zu versuchen, den Streit im Betrieb zu lösen. In diesem Fall war davon nichts erkennbar. Der Arbeitgeber hatte keine Mediation angeboten, keine Gespräche geführt und keine Maßnahmen zur Deeskalation ergriffen. Damit fehlte ein wichtiger Grund für eine rechtmäßige Kündigung. Auch den Wunsch des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis wenigstens vom Gericht auflösen zu lassen, lehnte das LAG ab. Bei einer fristlosen Kündigung mit Auslauffrist sei das nicht möglich – selbst dann nicht, wenn eine normale Kündigung tariflich ausgeschlossen sei.
Hinweis: Wer als Arbeitgeber Konflikte im Betrieb ignoriert, darf sich später nicht auf den Druck der Belegschaft berufen. Eine Kündigung ist nur dann möglich, wenn vorher ernsthaft versucht wurde, den Streit zu lösen. Auch innerbetriebliche Mediation kann notwendig sein.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 13.05.2025 – 10 SLa 687/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Auf den ersten Blick hat der Arbeitnehmer in diesem Fall das Zuspätkommen auf neue Höhen getrieben. Doch dass die dreieinhalb Monate “Urlaubsverlängerung” alles andere als freiwillig waren, lag angesichts der dem Arbeitsgericht Herne (ArbG) dargelegten Fakten mehr als nahe. Genau daher trafen sich der Arbeitgeber und sein gekündigter Arbeitnehmer dort auch wieder.
Der Mitarbeiter eines großen Paketdienstes machte Urlaub in Somalia. Die Reise war mit dem Arbeitgeber abgesprochen. Eigentlich hätte er am 26.10.2024 wieder zur Arbeit erscheinen sollen. Doch auf dem Flughafen wurde ihm sein Aufenthaltstitel gestohlen. Ohne dieses Dokument durfte er nicht ausreisen. Er meldete den Vorfall der Polizei und wandte sich an die deutsche Botschaft. Ein neues Visum bekam er aber erst viele Wochen später. Erst am 04.02.2025 konnte der Mann wieder zurück nach Deutschland fliegen. Am nächsten Tag bot er sofort seine Arbeitskraft wieder an. Der Arbeitgeber hatte da bereits anders entschieden. Er hatte den Mitarbeiter abgemahnt und ihm am 20.01.2025 ordentlich zum 31.03.2025 gekündigt. Der Mann klagte dagegen – mit Erfolg.
Das ArbG erklärte die Kündigung für nicht gerechtfertigt. Zwar habe der Mann seine Arbeit nicht aufgenommen, aber der Grund dafür lag nicht in seinem Einflussbereich. Der Verlust des Aufenthaltstitels war ein außergewöhnlicher Umstand. Außerdem habe der Beschäftigte sich ehrlich bemüht, Kontakt zu halten und seine Rückreise zu regeln. Der Arbeitgeber konnte nicht nachweisen, dass durch das Fehlen des Manns ernsthafte Probleme im Betrieb entstanden waren. Auch organisatorische Schwierigkeiten seien nicht erkennbar gewesen. Dazu kam: Der Mann arbeitete bereits seit fünf Jahren ohne Beanstandungen im Unternehmen – auch das sprach gegen eine Kündigung.
Hinweis: Wer ohne eigenes Verschulden zu spät aus dem Urlaub zurückkehrt, darf nicht einfach entlassen werden. Wichtig ist, dass man alles tut, um den Arbeitgeber zu informieren. Auch die bisherige Zusammenarbeit spielt bei der Bewertung eine Rolle.
Quelle: ArbG Herne, Urt. v. 08.05.2025 – 4 Ca 208/25
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Betriebsräte sollten wissen, in welchen Fällen sie helfen können und wann sie auf die Gerichte zurückgreifen müssen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) zeigt auf, dass eine Einigungsstelle nicht bei allen Differenzen das richtige Mittel der Wahl ist. Das Zünglein an der Waage ist die Antwort auf die Frage: Handelt es sich hierbei um eine Beschwerde oder einen Rechtsanspruch?
Eine schwangere Mitarbeiterin war im August 2024 mit einer Abmahnung konfrontiert worden. Der Arbeitgeber warf ihr vor, nicht zu einem Meeting erschienen zu sein und dies zu spät mitgeteilt zu haben. Außerdem habe sie ihre Abwesenheit an einem weiteren Tag nicht angekündigt. Die Beschäftigte wandte sich an den Betriebsrat und bat um Hilfe. Sie wollte, dass die Abmahnung aus ihrer Personalakte verschwindet. Sie sei nicht richtig angehört worden und sah sich wegen ihrer Schwangerschaft ungerecht behandelt. Der Betriebsrat stimmte ihr zu und forderte den Arbeitgeber zum Handeln auf, doch dieser weigerte sich. Als der Betriebsrat eine Einigungsstelle einsetzen lassen wollte, stieß er damit beim Arbeitgeber ebenso wenig auf Resonanz. Und dann landete der Fall endlich dort, wohin er gehörte: vor die Gerichte.
Das LAG entschied schließlich, dass die Einigungsstelle in so einem Fall nichts zu sagen hat. Denn es ging nicht um eine gemeinsame Regelung für die Zukunft, sondern um einen ganz konkreten Streitfall aus der Vergangenheit. Die Abmahnung betraf ein Verhalten der Vergangenheit, und derartige Fälle dürfen nur die Arbeitsgerichte entscheiden. Es handelte sich um einen rechtlichen Anspruch – und für den ist die Einigungsstelle nicht zuständig.
Hinweis: Wenn es um eine Beschwerde geht, die ein rechtliches Ziel verfolgt – wie zum Beispiel die Entfernung einer Abmahnung -, darf der Betriebsrat keine Einigungsstelle einschalten. Das muss vor Gericht geklärt werden. Wichtig ist, den Unterschied zwischen Beschwerde und Rechtsanspruch zu kennen.
Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.02.2025 – 10 TaBV 29/25
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Einer der Kernpunkte von Führung ist Verantwortung, vor allem auch fürs Personal. Das Arbeitsgericht Herne (ArbG) musste entschieden, wann jemand wirklich als leitender Angestellter gilt oder eben nicht. Die Antwort ist nicht allein wichtig für Ego oder Bezahlung, sondern vor allem in Sachen Mitspracherecht des Betriebsrats. Denn der ist bei nachgewiesenen Führungskräften heraus.
Ein Unternehmen suchte neue Führungskräfte, konnte die Stellen “Leitung Marketing” und “künstlerischer Manager” aber nicht mit externen Bewerbern besetzen. Deshalb versetzte der Arbeitgeber einen Mitarbeiter intern. Dieser bekam einen neuen Titel: Direktor für Marketing, Akquise, Projektmanagement und Pressesprecher. Dass der Arbeitgeber sich für diese Versetzung keine Zustimmung des Betriebsrats einholte, begründete er damit, dass er hierfür schlichtweg keine gebraucht habe – der Mitarbeiter zähle nun schließlich als leitender Angestellter. Er habe jetzt mehr Aufgaben und Verantwortung, was zu seinen Stärken passe. Der Betriebsrat war anderer Meinung. Er sah in der Versetzung eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme und zog vor Gericht. Denn aus seiner Sicht fehlte dem Mitarbeiter die nötige Personalverantwortung. Er durfte weder einstellen noch entlassen.
Das ArbG gab dem Betriebsrat Recht. Der Mann war kein leitender Angestellter im Sinne des Gesetzes. Denn wer diesen Status haben will, muss wirklich über wichtige Personalfragen mitentscheiden dürfen. Auch eine Generalvollmacht oder eine Prokura hätte nötig sein können – beides lag ebenfalls nicht vor. Damit durfte der Arbeitgeber die Versetzung nicht allein entscheiden. Der Betriebsrat hätte vorher beteiligt werden müssen. Die Versetzung war unwirksam.
Hinweis: Leitender Angestellter ist nur, wer echte Personalverantwortung trägt. Ein schicker Titel oder ein breites Aufgabenfeld reichen nicht. Ohne Mitspracherecht bei Einstellungen oder Kündigungen bleibt die Mitbestimmung des Betriebsrats bestehen.
Quelle: ArbG Herne, Beschl. v. 09.04.2025 – 5 BV 15/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Ein Polizeibeamter auf Probe hatte in mehreren WhatsApp-Gruppen rechtsextreme und menschenverachtende Inhalte geteilt. Ob diese von ihm in Nachhinein als “geschmacklose Witze” bezeichneten Posts Grund genug gewesen seien, ihn aus dem Dienst zu entlassen, musste das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) entscheiden.
Ein 25-jähriger Polizeianwärter arbeitete auf Probe in Bottrop. Bei Ermittlungen gegen einen Kollegen wurde dessen Handy durchsucht. Dabei fiel auf, dass auch der junge Anwärter in mehreren Gruppen aktiv war, in denen extremistische und entwürdigende Beiträge kursierten. Er hatte selbst mehrere solcher Inhalte gepostet – darunter auch ein Video mit tierpornographischem Inhalt. Auf Beiträge anderer mit ähnlichem Inhalt reagierte er zwar nicht, distanzierte sich jedoch ebenso wenig. Es gab außerdem Hinweise, dass er im Besitz kinderpornographischen Materials gewesen sein könnte. Das Land Nordrhein-Westfalen beendete daraufhin das Beamtenverhältnis. Aus Sicht der Behörde fehlte ihm die charakterliche Eignung für den Polizeidienst. Der Mann wehrte sich vor Gericht.
Sowohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen als auch das OVG hielten die Entlassung für richtig. Das Gericht erklärte: Wer solche Inhalte verbreitet oder schweigend hinnimmt, stellt sich gegen die Grundwerte des Staates. Auch wenn er später behauptete, er habe die Inhalte nicht ernst gemeint, zähle das nicht. Wer Polizist sein will, müsse reif und gefestigt sein. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Selbst gute Leistungen im Dienst könnten das nicht ausgleichen. Gerade im Polizeiberuf sei es entscheidend, dass Beamte für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen.
Hinweis: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, muss für demokratische Werte einstehen. Extremistische oder menschenverachtende Inhalte sind mit diesem Beruf nicht vereinbar – auch dann nicht, wenn sie “nur” im Chat geteilt oder hingenommen werden. In der Probezeit ist eine Entlassung in solchen Fällen schnell möglich.
Quelle: OVG NRW, Beschl. v. 21.05.2025 – 6 B 1231/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)