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Zum Thema Familienrecht
- Gesteigerte Erwerbsobliegenheit: Kindesunterhalt hat Vorrang vor Erstausbildung eines 45-jährigen Hilfsarbeiters
- Keine Vaterrechte nach Missbrauch: Jugendliche dürfen Auskunft über sich selbst verweigern
- Mutmaßungen unzulässig: Vor Erteilung eines Umgangsausschlusses müssen Familiengerichte hohe Hürden nehmen
- Pandemie kein Grund für Untätigkeit: Bei Trennung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft verjähren Ansprüche nach drei Jahren
- Richterliches Ermessen: Verfahrensrecht sieht keinen Automatismus bei der Kostenverteilung in Familiensachen vor
Die “gesteigerte Erwerbsobliegenheit” trifft jene Elternteile, die getrennt von ihren Kindern leben und ihnen Kindesunterhalt schulden. Wie sie ihre Arbeitskraft in welchem Maße einzusetzen haben, um dieser Pflicht möglichst nachzukommen, zeigt das folgende Urteil, das vom Oberlandesgericht Bamberg (OLG) kürzlich getroffen wurde.
Ein 45-jähriger Vater hatte keine Berufsausbildung und arbeitete als ungelernte Kraft bei einer Leiharbeitsfirma – nicht in Vollzeit und nur knapp über Mindestlohn. Sein tatsächliches Einkommen reichte somit nicht für den Kindesunterhalt. In der Beschwerdeinstanz trug er zudem vor, er werde eine Ausbildung zum Fachlageristen beginnen und dann nur noch eine monatliche Ausbildungsvergütung von 580 EUR erhalten.
Dennoch verurteilte ihn das OLG Bamberg zum Unterhalt für seine Kinder – und das aus fiktivem Einkommen. Das Gericht erläuterte dem Vater, dass er sich intensiv – also mit allen Kräften und unter Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten – um die Erlangung eines hinreichend entlohnten Arbeitsplatzes zu bemühen habe. Bis zur gesetzlich zulässigen Wochenarbeitszeit von 48 Stunden müsse er Nebentätigkeiten aufnehmen. Weil er schon 45 Jahre alt sei und auch bisher immer nur als ungelernte Kraft gearbeitet hatte, habe sein eigener Anspruch auf eine berufliche Erstausbildung ausnahmsweise nicht Vorrang. Das OLG rechnete aus, was der Vater mit 48 Wochenstunden verdienen würde, zog neben berufsbedingten Benzinkosten auch Benzinkosten ab, die er für die Abholung der Kinder zu den Umgangswochenenden hatte. Übrig blieben fiktive 300 EUR für zwei Kinder.
Hinweis: Die alleinerziehende Mutter kann Unterhaltsvorschuss beim Jugendamt beantragen – das ergibt für sie bei zwei Kindern mehr als 300 EUR. Das Jugendamt kann beim Vater nicht aus fiktivem Einkommen Regress nehmen. Das Verfahren ergibt wirtschaftlich also nur dann Sinn, wenn die Mutter mit einem neuen Partner zusammen wohnt und deshalb keinen Unterhaltsvorschuss bekommen kann.
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 09.02.2022 – 7 UF 196/21
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(aus: Ausgabe 05/2022)
Wenn man für sein Kind das Sorgerecht und den persönlichen Kontakt verliert, dann bleibt nur noch ein Recht aus § 1686 Bürgerliches Gesetzbuch, vom anderen Elternteil über sein Kind informiert zu werden. Doch auch dieses Recht kann verwirkt werden, so wie im folgenden Fall des Oberlandesgerichts Bamberg (OLG).
Ein Vater wollte auf Basis des besagten Paragraphen ein aktuelles Foto seiner Kinder und die Zeugnisse der letzten fünf Jahre haben. Soweit verständlich – wenn man die Hintergründe nicht kennt, die zum Entzug des Sorgerechts und des persönlichen Kontakts führten. Denn in Fällen wie diesem hier kann sogar das Recht darauf verwirkt sein. Hier war der Vater nämlich wegen etlicher Fälle des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornographie verurteilt worden – eines der Opfer war sogar die eigene Tochter gewesen. Die Mutter befürchtete daher nun, dass der Vater die Informationen, auf welche Schule die Kinder gehen und wie sie aussehen, nur begehre, um die Kinder nach seiner Haftentlassung aufzuspüren.
Das OLG lehnte den Antrag des Vaters daher ab – auch gestützt auf den Willen der 14 und 17 Jahre alten Kinder. Diese hatten sich in der erfolgten Anhörung gewünscht, dass der Vater nichts von ihnen wissen und sie in Ruhe lassen solle. Auf keinen Fall solle er die Fotos und Zeugnisse erhalten. Es müsse reichen, ihm mitzuteilen, dass es ihnen gut gehe. Dieser autonome und objektiv nachvollziehbare Wille der Kinder wurde angesichts ihres Alters als Ausdruck der Selbstbestimmung gewertet – und es erschien dem OLG zwingend, die Kinder zu respektieren.
Hinweis: Der Wille eines Jugendlichen, der altersentsprechend geistig reif ist, wird in der Praxis nur dann übergangen, wenn er offensichtlich das eigene Wohl gefährdet. Eine feste Altersgrenze, ab der Kinder über ein Verfahren “entscheiden” können, gibt es dabei nicht.
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 14.03.2022 – 2 UF 28/22
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(aus: Ausgabe 05/2022)
Besonders kleinen Kindern möchte man gerichtliche Anhörungen nachvollziehbarerweise gern ersparen. Dass in Familiensachen in den meisten Fällen jedoch kein Weg daran vorbeiführt, musste sich kürzlich das Amtsgericht Zweibrücken (AG) vom entsprechenden Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) sagen lassen.
Das AG hatte in einer Familiensache die Anhörung eines vierjährigen Kindes unterlassen, weil dieses bisher gar keinen Kontakt zum Vater hatte und sich das Gericht daher keine Erkenntnisse durch die Anhörung erhoffte.
Diese Vorwegnahme eines Ergebnisses war in Augen des OLG jedoch nicht zulässig. Nach dem Willen des Gesetzgebers muss ein Kind im gerichtlichen Verfahren die Möglichkeit erhalten, seine persönlichen Beziehungen zu den Eltern erkennbar werden zu lassen. Spätestens ab dem dritten Lebensjahr ist die Anhörung zwingend. Ebenso rügte das OLG, dass das AG den Umgang vorläufig für anderthalb Jahre ausschloss, weil der Vater in psychiatrischer Behandlung war. Ohne sachverständige Beratung zum Krankheitsbild und zu dessen Auswirkungen auf den Umgang durfte diese Entscheidung nicht getroffen werden. Außerdem hätte abgewogen werden müssen, ob eine Umgangsbegleitung möglich sei. Ein Umgangsausschluss darf stets nur das letzte Mittel sein. Somit verwies das OLG die Sache zur weiteren Aufklärung an das AG zurück.
Hinweis: Vielfach wird angenommen, dass die Eltern eine Kindesanhörung vermeiden können, wenn sie sich im Gerichtssaal einigen. Das geht aber nicht: Eine Einigung kann ohne Kindesanhörung nicht vom Familiengericht gebilligt werden. Im August 2021 ist die entsprechende gesetzliche Vorschrift nochmals strenger gefasst worden.
Quelle: OLG Zweibrücken, Urt. v. 20.01.2022 – 6 UF 132/21
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(aus: Ausgabe 05/2022)
Wenn nichteheliche Lebensgemeinschaften auseinandergehen, ist der Streit um Geld und Haus nicht unbedingt kleiner als mit Trauschein. Das beweist der folgende Fall des Oberlandesgericht Brandenburg (OLG), der gleichsam aufzeigt, dass eine Eheschließung durchaus auch für den Trennungsfall von Vorteil sein kann.
Im Jahr 1982 hatte sich das Paar verlobt und 1985 sowie 1996 seine beiden Kinder bekommen. Geheiratet hatte es trotz seines einstigen Eheversprechens jedoch nie. 1993 hatten beide Partner zudem das Elternhaus des Mannes gekauft, und die Frau wurde Alleineigentümerin, um das Haus bei einer etwaigen Insolvenz des selbständig tätigen Mannes zu schützen. Die Frau unterschrieb allein den Kreditvertrag, der Mann bürgte aber für die Schuld und zahlte als Hauptverdiener die Kreditraten ab. 2014 kam es schließlich zur Trennung – mit einem solchen Streit, dass der Mann über ein Gewaltschutzverfahren des Hauses verwiesen wurde. Ende 2017 ging der Mann seinerseits zu Gericht und verlangte auf diesem Weg allerhand Auskünfte von der Frau, um zu berechnen, was ihm aus dem Haus zustehe. Es dauerte dann noch bis Anfang April 2020, bis dem Mann für das beabsichtigte Verfahren Verfahrenskostenhilfe (VKH) bewilligt wurde. Dann tat sich – gegebenenfalls wegen Corona – bis Dezember 2020 nichts, erst dann reichte der Mann seinen Auskunftsantrag zwecks Zustellung an die Gegenseite bei Gericht ein. Die Frau berief sich nun daraufhin auf Verjährung – und das erfolgreich.
Das OLG bestätigte, dass die Verjährungsfrist für die geltend gemachten Ansprüche – hier denkbar aus Gesellschaftsrecht, Wegfall der Geschäftsgrundlage und ungerechtfertigter Bereicherung – drei Jahre beträgt. Sie beginnt am 31.12. des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist – in diesem Fall durch das Scheitern der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit Ablauf des 31.12.2014 und Eintritt am 31.12.2017. Knapp davor hatte der Mann seinen ersten Antrag bei Gericht gestellt und damit die Verjährung erfolgreich gehemmt. Die Wirkung der Hemmung endete aber Anfang Oktober 2020, sechs Monate nach der abschließenden Entscheidung aus April 2020 über sein VKH-Gesuch (§ 204 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Die wenigen aus Dezember 2017 verbliebenen Verjährungstage liefen nun wieder an, und noch im Oktober 2020 trat die Verjährung endgültig ein. Sein Antrag aus Dezember 2020 konnte daher nichts mehr retten. Seine Rechtfertigung, er habe monatelang wegen der Corona-Pandemie keinen Kontakt zu seinem Rechtsanwalt gehabt, reichte dem OLG nicht als “triftiger Grund” für die Untätigkeit.
Hinweis: Unter Eheleuten beginnt die Verjährung erst mit der Scheidung zu laufen und ist bis dahin gehemmt. Die meisten der Ansprüche gegeneinander können im Scheidungsverbund geklärt werden. Eine Ehe hätte den Mann hier also vor einem solchen Rechtsverlust bewahrt, selbst wenn nach der Trennung jahrelang nichts unternommen worden wäre.
Quelle: OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.02.2022 – 9 UF 128/21
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(aus: Ausgabe 05/2022)
Wenn man vor Gericht gewinnt, muss die Gegenseite die Kosten erstatten. Von diesem Grundsatz wird am Familiengericht oft abgewichen. Der folgende Fall, den das Oberlandesgericht Bremen (OLG) zu bewerten hatte, zeigt auf, warum das Fachgebiet in juristischen Familiensachen hier eine Ausnahme macht.
Die Eltern einer Zwölfjährigen waren sich uneins über deren COVID-19-Impfung gewesen. Der Vater wollte die Tochter impfen lassen und beantragte eine gerichtliche Entscheidung. Das Gericht klärte den Sachverhalt auf, hörte alle Beteiligten an – auch das Kind – und übertrug dem Vater die Alleinentscheidungsbefugnis über die Schutzimpfung. Die Kosten des Verfahrens sollten dann schließlich er und die Mutter je hälftig tragen. Dazu fehlte es dem Kindesvater an Einsicht. Er machte beim OLG geltend, dass das Verfahren notwendig gewesen sei, weil sich die Kindesmutter kategorisch der elterlichen Auseinandersetzung mit dem Thema verweigert habe und eine Haltung vertrete, die dem aktuellen Stand gängiger medizinischer Behandlung widerspreche. Die in der Sache getroffene Entscheidung folge in Gänze seinem Antrag. Es gehe seiner Ansicht nach nicht an, ihn für das unkommunikative Verhalten der Kindesmutter haftbar zu machen, indem er an den Kosten des Verfahrens beteiligt werde.
Sowohl die Vorinstanz als auch das OLG sahen das jedoch anders: Das Verfahrensrecht in Familiensachen sehe keinen Automatismus bei den Kosten vor, sondern eine Ermessensentscheidung. Es sei das gute Recht der Mutter gewesen, eine andere Position zur Frage der Impfung einzunehmen, ohne befürchten zu müssen, deshalb unter Umständen im Fall des Unterliegens bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung über dieses Thema stärker als der andere für die dadurch entstehenden Kosten herangezogen zu werden.
Hinweis: Dieser Grundsatz wird besonders teuer, wenn das Familiengericht Gutachten einholt. Schnell geht es da um fünfstellige Eurobeträge. Selbst wenn das Gutachten ergibt, dass der andere Elternteil sich fehlverhält oder gar erziehungsunfähig ist, zahlen in der Regel beide für diese Erkenntnis.
Quelle: OLG Bremen, Beschl. v. 09.02.2022 – 5 UF 5/22
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 05/2022)