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Zum Thema Arbeitsrecht
- Arbeitsunfähig während Kündigungsfrist: Fehlender Kausalzusammenhang führt zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
- Demokratie herabgewürdigt: “Reaktionär faschistoidem Staat” ist Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar
- Fortsetzung nicht zumutbar: Veröffentlichtes Video mit “Impfung macht frei” führt zur Kündigung eines Lehrers
- Trotz DSGVO-Verstoßes: Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs auch nach widerrechtlicher Datenauswertung möglich
- Unternehmerisches Risiko: Arbeitgeber kann im Kündigungsfall keine Vermittlungsprovisionen auf Arbeitnehmer abwälzen
Es wird stets problematisch, wenn eine Arbeitsunfähigkeit mit der Kündigungsfrist zusammenfällt. Ob der Arbeitnehmer bei seiner Krankmeldung bereits etwas von seiner Kündigung ahnte, blieb in diesem Fall des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (LAG) ebenso unbeachtet wie eine derartige Mutmaßung des Arbeitgebers. Denn der Arbeitnehmer hatte durch sein Timing alles richtig gemacht.
Ein Arbeitgeber wurde von einem Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verklagt. Der Arbeitnehmer meldete sich am 02.05. krank und legte daraufhin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) seines behandelnden Arztes für den Zeitraum vom 02.05. bis zum 31.05. mit unterschiedlichen Diagnosen vor. Die Arbeitgeberin kündigte ihrerseits das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.05. zum 31.05. Das entsprechende Schreiben ging dem Arbeitnehmer am 03.05. zu. Die Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung, da die Krankschreibung und die Kündigungsfrist identisch seien.
Das sah das LAG nicht so, so dass der Arbeitnehmer den Rechtsstreit gewann. Meldet sich der Arbeitnehmer zuerst krank und erhält dann eine arbeitgeberseitige Kündigung, fehlt es in der Regel an dem für die Erschütterung des Beweiswerts der AU notwendigen Kausalzusammenhang.
Hinweis: Wird einem Arbeitnehmer erst gekündigt, und reicht er daraufhin eine AU für den gesamten Zeitraum der Kündigungsfrist ein, kann der Beweiswert einer AU in der Tat erschüttert werden. Das sollten Arbeitnehmer stets im Auge behalten.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 08.03.2023 – 8 Sa 859/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2023)
Es ist immer wieder erstaunlich, dass sich Mitarbeiter im öffentlichen Dienst zu Vergleichen mit der Nazidiktatur hinreißen lassen. Im Fall vor dem Landesarbeitsgericht München (LAG) ließ sich ausgerechnet eine Referentin für Rundgangführungen im ehemaligen Konzentrationslager Dachau zu einem Faschismusvergleich hinreißen.
Die Frau, die bei einer vom Freistaat Bayern errichteten Stiftung des öffentlichen Rechts als Referentin für Rundgangführungen in der KZ-Gedenkstätte Dachau beschäftigt war, trat auch bei “Anti-Corona-Bewegungen” als Rednerin auf. Wörtlich sagte sie bei einer Demonstration auf dem Münchner Königsplatz Ende Januar 2022: “Wir haben es hier mit der schärfsten Faschisierung im Staat und Gesellschaft zu tun. Seit der Gründung der Bundesrepublik. (…) Und ihr seht die Ignoranz dieses Staates, dieses reaktionär faschistoiden Staates, der meint, er kann sich abschütteln.” Als der Arbeitgeber davon erfuhr, kündigte er der Arbeitnehmerin ordentlich zum 30.06.2022, wogegen sie klagte – dies jedoch erfolglos.
Denn wer Führungen in einer KZ-Gedenkstätte wie Dachau macht und die Besucher betreut, darf laut LAG seinen demokratisch gewählten, staatlichen Arbeitgeber nicht mit einem Faschistenstaat gleichstellen. Dadurch wird die Demokratie herabgewürdigt. Die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses war dem Arbeitgeber daher unzumutbar.
Hinweis: Wer für den Staat tätig ist und die Bundesrepublik Deutschland als “reaktionär faschistoiden Staat” bezeichnet, muss mit einer Kündigung rechnen – und das zu Recht.
Quelle: LAG München, Urt. v. 18.07.2023 – 7 Sa 71/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2023)
Bei der Verharmlosung des Holocausts kennen die meisten Arbeitgeber kein Pardon. Vor allem öffentliche Arbeitgeber sehen sich in der Pflicht, Umtriebe ihrer Beschäftigten dahingehend im Auge zu behalten – und im Ernstfall empflindlich zu ahnden. Auch der Lehrer dieses Falls wird gewusst haben, welche Konsequenzen ihm drohen. Dass das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) Verfahrensfehler bei der Kündigung festgestellt hat, änderte final nichts an der Tatsache, dass dem Land Berlin die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar war.
Ein beim Land Berlin angestellter Lehrer war mit der Corona-Politik der Bundesregierung im Jahr 2021 nicht einverstanden und veröffentlichte auf YouTube ein Video, das mit der Darstellung des Tors eines Konzentrationslagers begann. Der Originalschriftzug des Tors “Arbeit macht frei” war durch den Text “Impfung macht frei” ersetzt. Das Land kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise fristgemäß. Es war der Auffassung, der Lehrer setze in dem Video das staatliche Werben um die Impfbereitschaft in der Pandemie mit der Unrechtsherrschaft und dem System der Konzentrationslager gleich. Das komme einer Verharmlosung der Unrechtstaten der Nationalsozialisten gleich und missachte die Opfer. Da das Land Berlin eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Lehrer nicht mehr erkennen konnte, beantragte es zudem für den Fall der Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung nach Maßgabe der §§ 9 und 10 Kündigungsschutzgesetz aufzulösen. Der Lehrer sah dagegen keinen Zusammenhang mit seinem Arbeitsverhältnis und klagte gegen die Kündigung.
Auch das LAG meinte, dass die Kündigung unwirksam war. Denn das Land Berlin hatte einen schwerwiegenden Verfahrensfehler gemacht. Es hatte dem Personalrat nur einen Screenshot des Eingangsbilds des Videos als Kündigungsgrund genannt – daher konnte es sich im Verfahren auch nur darauf berufen. Somit war eine Überschreitung des Grundrechts auf Meinungsäußerung nicht eindeutig festzustellen. Trotzdem war dem Land Berlin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen der Äußerungen im Video nicht zuzumuten. Daher wurde das Arbeitsverhältnis dennoch zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31.03.2022 gegen Zahlung einer Abfindung von 72.000 EUR aufgelöst.
Hinweis: Jegliche Verharmlosung von Taten der Nazidiktatur können bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst zur Beendigung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses führen. Das ist seit langem bekannt – und alle Beschäftigten, ob verbeamtet oder nicht, sollten sich daran halten.
Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.06.2023 – 10 Sa 1143/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2023)
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gibt unter anderem vor, wann eine Videoüberwachung von wem wie abzulaufen hat, und vor allem, wie lange erhobene Daten gespeichert und entsprechend verwertet werden dürfen. Dass aber auch eine Videoüberwachung, die gegen datenschutzrechtliche Grundsätze verstößt, zu einer Kündigung führen kann, zeigt dieser Fall, der bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) ging.
Ein Arbeitnehmer war in einer Gießerei beschäftigt, in der es eine Videoüberwachung gab, auf die auch durch entsprechende Schilder hingewiesen wurde. Der Arbeitnehmer betrat an einem Tag das Betriebsgelände – offensichtlich in der Absicht, diesen Tag bezahlt zu bekommen. Auf einen anonymen Hinweis zu angeblich regelmäßigem Arbeitszeitbetrug hin sah sich der Arbeitgeber die Aufzeichnungen an und musste feststellen, dass der Arbeitnehmer noch vor Schichtbeginn das Werksgelände wieder verlassen hatte. Das hielt er für einen Arbeitszeitbetrug und kündigte dem Mann. Der Arbeitnehmer legte dagegen eine Kündigungsschutzklage ein und meinte, dass er an dem Tag gearbeitet habe. Zudem unterlägen die Videos aus der Videoüberwachung einem Beweisverwertungsverbot und könnten in einem Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.
Damit bekam der Gekündigte in den Vorinstanzen noch Recht. Vor dem BAG war damit aber Schluss. In einem Kündigungsschutzprozess bestehe grundsätzlich kein Verwertungsverbot für solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Dies gelte auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben der DSGVO stehe. Das BAG verwies die Angelegenheit daher an die Vorinstanz – das zuständige Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) – zurück.
Hinweis: Nach Auffassung des vorinstanzlichen LAG hatte es den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung nach Art. 5 DSGVO eklatant widersprochen, dass die herangezogenen Videoaufzeichnungen zum Zeitpunkt der Auswertung teilweise bereits ein Jahr lang zurückgelegen hätten. Laut Mitteilung des BAG sei es aber möglich, dass datenschutzrechtliche Abweichungen gegen Löschpflichten bei einer offenen Videoüberwachung und bei einem vorsätzlich vertragswidrigen Verhalten nicht zugunsten eines Verwertungsverbots entscheiden.
Quelle: BAG, Urt. v. 29.06.2023 – 2 AZR 296/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2023)
Häufig werden Arbeitnehmer erst durch einen Personalvermittler gefunden. Doch muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die gezahlte Provision für die Vermittlung ersetzen, wenn er kurz nach Abschluss des Arbeitsvertrags kündigt? Die Antwort auf diese Frage kann das Bundesarbeitsgericht (BAG) geben.
Über eine Personalvermittlung fand ein Arbeitnehmer einen neuen Arbeitgeber. Dieser zahlte an den von ihm beauftragten Personaldienstleister 4.500 EUR Provision, der nach erfolgreich absolvierter Probezeit des neuen Mitarbeiters weitere 2.230 EUR erhalten sollte. Im Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber war der Arbeitnehmer verpflichtet worden, die gezahlten Provisionen zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht mindestens ein Dreivierteljahr bestehen sollte. Dennoch kündigte der Arbeitnehmer nach vier Monaten das Arbeitsverhältnis fristgerecht. Daraufhin behielt der Arbeitgeber 800 EUR netto von der letzten Vergütung ein. Dagegen zog der Arbeitnehmer vor das Arbeitsgericht. Im Zuge der Widerklage verlangte der Arbeitgeber weitere 3.700 EUR.
Vor dem BAG bekam der Arbeitnehmer Recht. Eine arbeitsvertragliche Regelung, nach der der Arbeitnehmer verpflichtet ist, gezahlte Vermittlungsprovisionen zu erstatten, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf einer bestimmten Frist beendet, war unwirksam. Das ergibt sich aus § 307 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch. Das unternehmerische Risiko habe nämlich grundsätzlich der Arbeitgeber zu tragen – auch für den Fall, dass sich Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht “lohnen”, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlich zulässiger Weise beendet. Es besteht deshalb kein rechtmäßiges Interesse des Arbeitgebers, solche Kosten auf den Arbeitnehmer abzuwälzen.
Hinweis: Für die Vermittlung eines Arbeitnehmers muss grundsätzlich nur der Arbeitgeber zahlen, wenn er das mit einem Personalvermittler zuvor vereinbart hat. Kündigt der betreffende Arbeitnehmer kurze Zeit später, hat der Arbeitgeber schlichtweg unternehmerisches Pech gehabt.
Quelle: BAG, Urt. v. 20.06.2023 – 1 AZR 265/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2023)