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Zum Thema Arbeitsrecht
- Festgelegt statt verhandelt: Einseitig beschlossene variable Vergütung zieht Schadensersatzansprüche nach sich
- Hinweisgeberschutzgesetz: Whistleblower aus EU-Parlament erhält Entschädigung
- Korrekter Absender erkennbar: Wann eine Kündigung mit falschem Firmenstempel dennoch wirksam ist
- Kündigung nach Arbeitsverweigerung: Es gibt kein Recht auf einheitlich anspruchsvolle Arbeit
- Mutterschutz geht vor: Wird Urlaub in der Elternzeit nicht aktiv gekürzt, besteht er weiter
Viele Arbeitnehmer erhalten variable Vergütungen wie Boni oder Prämien. Darauf freute sich auch der Arbeitnehmer in diesem Fall. Doch stattdessen musste er sich nun bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) klagen, um dort feststellen zu lassen, dass seine Arbeitgeberin ihm gegenüber schadensersatzpflichtig geworden ist.
Der Mann hatte seine neue Stelle als Director Development im Bereich Schiffe angetreten. Für seine Tätigkeit sollte er ein Grundgehalt sowie eine erfolgsabhängige variable Vergütung erhalten. Sein Arbeitsvertrag regelte, dass die Ziele, die für das Erreichen der variablen Vergütung erforderlich sind, jedes Jahr neu von der Arbeitgeberin und ihm festgelegt werden. Erstmals sollte das entsprechende Gespräch zum Ende der Probezeit geführt werden. Allerdings kam es bereits kurz nach Ende der Probezeit zu Unstimmigkeiten zwischen beiden Parteien. Der Arbeitnehmer forderte seine Arbeitgeberin daraufhin auf, mit ihm über die Zielvereinbarung zu verhandeln. Die Verhandlungen wurden geführt – jedoch ohne Ergebnis. Schließlich legte die Arbeitgeberin die Ziele nach eigenem Ermessen fest und begründete dies mit dem Arbeitsvertrag des Arbeitnehmers, in dem stand: “Sollten die Kriterien nicht zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden, werden diese seitens der Gesellschaft nach billigem Ermessen vorgegeben.” Als das Arbeitsverhältnis endete, klagte der Arbeitnehmer auf Schadensersatz.
Das BAG entschied, dass der Arbeitnehmer wegen der entgangenen erfolgsabhängigen variablen Vergütung seiner Arbeitgeberin gegenüber einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von rund 83.000 EUR hat. In seiner Begründung stellte das Gericht darauf ab, dass die Arbeitgeberin ihrer Pflicht, die Ziele mit dem Arbeitnehmer zu verhandeln und eine Zielvereinbarung für das Jahr abzuschließen, unstreitig nicht nachgekommen sei und damit schadensersatzpflichtig wurde. Die Richter stellten klar, dass die Arbeitgeberin die Ziele nicht einseitig festlegen durfte, da die entsprechende Regelung im Arbeitsvertrag unwirksam sei: Sie benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch), da sie der Arbeitgeberin ermögliche, die vertraglich vereinbarte Rangfolge von Zielvereinbarung und Zielvorgabe zu unterlaufen.
Hinweis: Haben sich die Vertragsparteien im Arbeitsvertrag verpflichtet, die Ziele gemeinsam festzulegen, hat sich auch der Arbeitgeber daran zu halten. Er ist in einem solchen Fall verpflichtet, mit dem Beschäftigten Verhandlungen zu führen.
Quelle: BAG, Urt. v. 03.07.2024 – 10 AZR 171/23
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Hier kommt der erste Fall zum neuen Hinweisgeberschutzgesetz, und den hatte auch gleich das Gericht der Europäischen Union (EuG) – eigenständiges europäisches Gericht und zudem Vorinstanz des Europäischen Gerichtshofs – zu entscheiden. Warum? Weil es hierbei um ein mutmaßliches Fehlverhalten innerhalb des EU-Parlaments ging.
Ein parlamentarischer Assistent hatte das Fehlverhalten seines Vorgesetzten – eines EU-Abgeordneten – gemeldet. Konkret beschwerte er sich über Mobbingverhaltensweisen und finanzielle Unregelmäßigkeiten, die sich auf den Abgeordneten bezogen. Als sein Chef davon erfuhr, reagierte dieser umgehend und sorgte dafür, dass der Arbeitnehmer einem anderen Abgeordneten zugewiesen wurde. Nach angeblichen Vergeltungsmaßnahmen wurde er dann aber bald von seiner Aufgabe freigestellt. Zudem wurde sein befristeter Vertrag nicht verlängert. Damit war der Beschäftigte nicht einverstanden und forderte eine Entschädigung von 200.000 EUR. Diese begründete er damit, dass er sich nicht nur in den unzureichenden Schutzvorgaben verletzt sah, sondern auch in der Vertraulichkeit seiner Identität.
Der Arbeitnehmer hatte mit seiner Klage teilweise Erfolg. Das EuG hob die stillschweigende Ablehnung ergänzender Schutzmaßnahmen auf. Zudem sprach es dem Beschäftigten eine Entschädigung in Höhe von 10.000 EUR zu und stellte fest, dass das Parlament ohne Zustimmung den Status des Betroffenen als Hinweisgeber offengelegt und ihn damit der Gefahr von Repressalien ausgesetzt habe. Das Parlament habe deshalb den Status des Assistenten als Hinweisgeber nicht anerkannt. Das hätte es aber tun müssen – genauso, wie es ihn vor Vergeltungsmaßnahmen hätte schützen müssen. Der Arbeitnehmer habe insoweit glaubwürdige Anhaltspunkte dafür geliefert, dass er aufgrund der Neuzuweisung einen Schaden erlitten habe. Deshalb hätte das Parlament ihm gegenüber eine Schutzpflicht gehabt. Das EuG stellte in seiner Begründung jedoch auch klar, dass die Nichtverlängerung des Vertrags des Betroffenen grundsätzlich im Einklang mit den geltenden Vorschriften stehe. Der Arbeitnehmer habe keinen Anspruch auf Verlängerung.
Hinweis: Der Arbeitgeber ist den Nachweis schuldig geblieben, dass er alle Vorkehrungen getroffen hatte, um dem Betroffenen nicht aufgrund seines Hinweises Schaden zuzufügen. Das sollten Arbeitgeber künftig beachten.
Quelle: EuG, Urt. v. 11.09.2024 – T‑793/22
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Das Einhalten von Formalien bei einer gerichtlichen Bewertung ist nicht nur von Vorteil, sondern kann bei Unterlassung auch böse Folgen haben. Im Fall vor dem Arbeitsgericht Suhl (ArbG) hatte der Arbeitgeber Glück, dass seine Kündigung eines Arbeitnehmers aus formellen Gründen nicht unwirksam war.
Ein Arbeitnehmer war bei der “P. KG” beschäftigt und wurde in der Probezeit entlassen. Das Kündigungsschreiben enthielt in der Kopfzeile den Namen und die Anschrift des Arbeitgebers. In der Unterschriftenzeile befand sich der Name des Arbeitgebers ergänzt um den Abdruck eines Firmenstempels der “P.H.E. GmbH”. Das nahm der Arbeitnehmer zum Anlass, um gegen die Kündigung zu klagen. Er meinte, mit der der “P.H.E. GmbH” habe er keinen Vertrag gehabt. Durch Verwendung des falschen Stempels sei die Kündigung daher unwirksam. Der Arbeitnehmer zog vor Gericht, verlor allerdings seine Klage.
Der falsche Firmenstempel mache eine Kündigung in den Augen des ArbG nicht gleich unwirksam. Denn der Aussteller der Kündigung war sowohl über die Kopfzeile als auch durch das Unterschriftenfeld erkennbar. Wenngleich offensichtlich der falsche Firmenstempel verwendet wurde, war der Aussteller dennoch erkennbar. Der falsche Stempel machte die Kündigung also nicht unwirksam.
Hinweis: Möchte jemand eine Kündigung aussprechen, sind die Formalien einzuhalten. Das gilt insbesondere für die Schriftform der Kündigung. Jede Kündigung, egal ob vom Arbeitnehmer oder vom Arbeitgeber, muss handschriftlich unterschrieben sein.
Quelle: ArbG Suhl, Urt. v. 14.08.2024 – 6 Ca 96/24
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Verweigert ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung, darf ihm sein Arbeitgeber in den meisten Fällen kündigen. Ob dies auch gilt, wenn der Arbeitnehmer geschuldete Arbeiten nur teilweise nicht ausführen will, war die Frage, die das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG) beantworten musste.
Ein Maschinenbediener war jahrelang für drei Maschinen zuständig. Im Jahr 2020 kam eine vierte Maschine hinzu, die einfacher zu bedienen war als die bisherigen. Auch die neue Maschine bediente er zunächst, ohne sich zu beschweren. Dann kam es jedoch zu einer Leistungsbeurteilung, mit der der Mann nicht einverstanden war. Er verlangte eine bessere Beurteilung und in der Folge mehr Geld, oder er werde die neue Maschine nicht mehr bedienen. Der Mitarbeiter meinte, die Arbeit an dieser Maschine verweigern zu dürfen, weil die Arbeit daran unter seinem Qualifikationsniveau liege. Schließlich machte der Mitarbeiter seine Drohung wahr und bediente nur die drei alten Maschinen. Auch einer Aufforderung des Vorgesetzten, die neue Maschine zu bestücken und laufen zu lassen, kam der Mann nicht nach. Das wollte sich der Arbeitgeber nicht gefallen lassen und kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht. Gegen die Kündigung reichte der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage ein – dies jedoch erfolglos.
Das LAG war der Auffassung, dass es kein Recht auf eine einheitlich anspruchsvolle Arbeit gibt. Weil der Mitarbeiter als Maschinenbediener eingestellt war, durfte der Arbeitgeber ihm auch die Bedienung der neuen Maschine zuweisen. Da der Arbeitnehmer der Aufforderung nicht nachkam, lag eine beharrliche Arbeitsverweigerung durch den Mitarbeiter vor, die eine fristlose Kündigung durchaus rechtfertigen kann – insbesondere, da der Arbeitgeber dem Mitarbeiter an seinem letzten Arbeitstag die fristlose Kündigung angedroht und ihn damit vergeblich abgemahnt hatte.
Hinweis: Die Interessenabwägung führte allerdings dazu, dass nur die fristgemäße Kündigung wirksam war. Dabei spielte auch eine Rolle, dass der Arbeitgeber am letzten Arbeitstag des Mitarbeiters geäußert hatte, dass der Mitarbeiter bei Bedarf auch Toiletten putzen und die Straße fegen müsse. Diese Provokation minderte nach Auffassung des Gerichts das Verschulden des Mitarbeiters.
Quelle: LAG Düsseldorf, Urt. v. 17.04.2024 – 12 Sa 747/23
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) regelt, dass eine Frau, die ihren Urlaub vor Antritt des Mutterschutzes nicht oder nur unvollständig nehmen konnte, diesen noch nach dem Mutterschutz im laufenden Jahr oder im Folgejahr nehmen kann. Eine ähnliche Regelung findet sich beim Erziehungsurlaub im Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit (BEEG). Die Konsequenz bekam ein Arbeitgeber, der sich auf das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) berief, vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) vor Augen geführt.
Eine Therapeutin hatte arbeitsvertraglich einen Jahresurlaub von 29 Arbeitstagen. Nach mehreren Geburten befand sie sich bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im November 2020 in Mutterschutz bzw. Elternzeit. Der Arbeitgeber hatte den Urlaub in der Elternzeit nicht gekürzt. Somit forderte die Therapeutin eine Abgeltung von 146 Urlaubstagen, also rund 25.000 EUR brutto. Der Arbeitgeber hingegen hielt den Urlaub für verfallen.
Das BAG urteilte eindeutig: Zwar verfällt Urlaub nach dem BUrlG grundsätzlich am 31.12. des laufenden Jahres – die Regelungen im MuSchG und BEEG gehen diesem Grundsatz aber als Spezialregelungen vor, hemmen also den Verfall des Urlaubs. Der Arbeitgeber hatte hier also das Nachsehen und musste die eingeklagte Urlaubsabgeltung an die Therapeutin bezahlen.
Hinweis: Mutterschutz und Elternzeit gehen nicht auf Kosten des Urlaubs der Arbeitnehmer. Während der Elternzeit dürfen Arbeitgeber den Urlaub für jeden vollen Monat der Elternzeit um 1/12 kürzen. Die Kürzungsabsicht müssen sie aber ausdrücklich erklären.
Quelle: BAG, Urt. v. 16.04.2024 – 9 AZR 165/23
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Alleinige Sorge: Beschwerdegericht hat weiten Ermessenspielraum bei Eilanträgen
- Alleinige Sorge: Häusliche Gewalt und Todesdrohungen kosten das Sorgerecht
- Kasse zahlt Kryokonservierung: Recht auf leibliche Nachkommen besteht auch bei Geschlechtsangleichung
- Terminkontrolle: Einhaltung von Rechtsmittelbegründungsfristen ist durch Rechtsanwalt sicherzustellen
- Änderungsbereitschaft vorausgesetzt: Teilnahme an Antigewalttraining kann nicht einfach vollstreckt werden
Wenn es um die Regelung des Sorgerechts geht, können Eltern schwer mit gerichtlichen Entscheidungen umgehen und versuchen, diese im Wege eines Eilverfahrens zu stoppen. Das ist aber nicht immer von Erfolg gekrönt, weil Gerichte – wie das Oberlandesgericht Rostock (OLG) im folgenden Fall – hier einen weiten Entscheidungsspielraum haben.
Die Eltern eines zehnjährigen Kindes stritten um die elterliche Sorge. Der Kindesvater, der an jedem zweiten Wochenende von Mittwoch bis Montag Umgang mit seinem Sohn pflegte, beantragte nun, die elterliche Sorge auf sich allein zu übertragen. Auch wollte er unter seiner Adresse den Hauptwohnsitz seines Sohns an- bzw. ummelden. Zur Begründung verwies der Kindesvater auf massive Konflikte mit der Mutter. Sein Antrag hatte keinen Erfolg – im Gegenteil: Das Amtsgericht entzog beiden Elternteilen das Recht der Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Regelung der Freizeitaktivitäten, ordnete insofern Ergänzungspflegschaft an und übertrug die entzogenen Rechte auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger. Das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten übertrug es auf die Kindsmutter. Dagegen legte der Vater Beschwerde ein und beantragte, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses vorläufig auszusetzen.
Der Vater scheiterte mit seinem Eilantrag vor dem OLG. Das Gericht müsse schließlich bei seiner Entscheidung stets abwägen, welche Folgen eine Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben kann. Klar sei, dass über kurz oder lang das Sorgerecht allein auf einen Elternteil übertragen werden müsse, da die Eltern sich hier offensichtlich nicht mehr einigen können und das Kind zu zerreiben drohen. Insofern kann aber keine Entscheidung im Eilverfahren über das Sorgerecht getroffen werden, da man ein Hin und Her für das Kind vermeiden will und lieber gleich eine abschließende Entscheidung getroffen werden muss.
Hinweis: Über allem steht das Kindeswohl. Ein Eilantrag kann in Familiensachen nur dann erfolgreich sein, wenn durch die Entscheidung keine zusätzlichen Belastungen für das Kind hervorgerufen werden.
Quelle: OLG Rostock, Beschl. v. 01.08.2024 – 10 UF 74/24
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Trennen sich Eltern, wird das Sorgerecht für die Kinder oft trotz Trennung gemeinsam ausgeübt. In Einzelfällen kann die Übertragung der alleinigen Sorge auf einen Elternteil angezeigt sein. So ein Einzelfall liegt vor, wenn Gewalt und Drohungen des einen Elternteils gegen den anderen Elternteil ausgesprochen und ausgeübt werden. Das folgt aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Die Eltern zweier Kinder haben sich scheiden lassen. Seit der Trennung im Jahr 2020 leben die Kinder im Haushalt der Mutter. Die Mutter hatte gegen den Vater im Jahr 2021 und erneut ab Ende 2023 ein jeweils halbjähriges Näherungs- und Kontaktverbot erwirkt. Zudem wurde ihr die alleinige elterliche Sorge übertragen. Gegen die Übertragung legte der Vater Beschwerde ein – erfolglos.
Beantragt ein Elternteil die Übertragung der alleinigen Sorge auf sich, sind alle für und gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Hier hatte der Vater die Mutter in der Vergangenheit körperlich angegriffen und verletzt. Wiederholt äußerte er Todesdrohungen. Es erfolgten Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz. Demnach besteht zwischen den Eltern keine tragfähige soziale Beziehung mehr. Eine Kommunikation und Verständigung zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge ist laut Auffassung des OLG somit nicht mehr möglich. Der Mutter ist es dabei auch nicht zumutbar, sich mit dem Vater in sorgerechtlichen Fragen abzustimmen. Entscheidend ist zudem der Wille der Kinder – und diese haben sich nach den Gewalterfahrungen für die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter ausgesprochen. Mildere, gleich effektive Mittel als die Übertragung auf die Mutter gibt es hier nicht. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Hinweis: Wer die alleinige Sorge für seine Kinder beantragen will, muss darlegen, warum eine gemeinsame Erziehung nicht mehr möglich ist. Weniger scharfe Maßnahmen dürfen nicht zur Verfügung stehen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 10.09.2024 – 6 UF 144/24
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Ob eine Person, der bereits der Anspruch einer geschlechtsangleichenden Behandlung zugesprochen wurde, vor der Angleichung auch einen Anspruch auf Kryokonservierung der Samenzellen bei seiner Krankenversicherung anmelden kann, bewertete das Bundessozialgericht (BSG).
Ein Mann war inmitten einer geschlechtsangleichenden Behandlung von Mann zu Frau. Diese Angleichung, die von der Krankenkasse bezahlt wird, würde in der Folge auch zum Verlust der Fruchtbarkeit führen. Um sich jedoch auch nach der Angleichung die Möglichkeit einer künstlichen Befruchtung mit seinen eigenen Samenzellen zu sichern, beantragte der Mann die Übernahme der Kosten einer Kryokonservierung der Samenzellen durch die Krankenversicherung.
Das BSG urteilte positiv für ihn, denn auch die geschlechtsangleichende Behandlung kann einen Anspruch auf Kryokonservierung von Samenzellen begründen. Schließlich haben Menschen gemäß § 2 Richtlinie zur Kryokonservierung, § 27a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch vor keimzellschädigenden Behandlungen – beispielsweise bei Strahlentherapie oder bei fertilisationsschädigenden Medikationen – die gesetzliche Möglichkeit einer Kryokonservierung. Dieser Anspruch resultiert aus dem Bedürfnis, die eigene Fortpflanzungsfähigkeit zu erhalten, und gilt unabhängig von der geschlechtlichen Identität. Den Anspruch haben daher auch Personen, die auf Kosten der Krankenkasse eine geschlechtsangleichende Behandlung von Mann zu Frau durchführen. Die Kostentragungspflicht der Geschlechtsangleichung kann den Anspruch auf Kostentragung für die Kryokonservierung indizieren.
Hinweis: Eine Geschlechtsangleichung wird dann vorgenommen bzw. von einer Person angestoßen, wenn diese sich im falschen Körper geboren fühlt. Durch das Geborensein im falschen Körper soll ihr aber nicht verwehrt werden, leibliche Nachkommen zu haben. Im Prozess der Geschlechtsangleichung sollte daher immer auch an die Kryokonservierung gedacht werden.
Quelle: BSG, Urt. v. 28.08.2024 – B 1 KR 28/23 R
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Fristen sind einzuhalten – das gilt besonders in gerichtlichen Verfahren. Fristversäumnisse sind nicht nur ärgerlich, sondern können auch richtig teuer werden, so wie in diesem Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging. Hier hatte der Rechtsanwalt in einem Familienrechtsverfahren eine Rechtsmittelbegründung zu spät eingereicht und die sogenannte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Man ahnt, wie das ausging.
Ein Ehemann wurde verurteilt, seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau den Betrag von 293.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Dieser Beschluss wurde seinem Verfahrensbevollmächtigten am 25.07.2023 zugestellt, die dagegen gerichtete Beschwerde am 24.08.2023 eingereicht. Am 02.10.2023 ging beim Amtsgericht (AG) ein Schriftsatz des Antragsgegners vom selben Tag ein, mit dem dieser die Beschwerde begründete. Das AG leitete den mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Schriftsatz am 04.10.2023 auf elektronischem Weg an das zuständige Oberlandesgericht (OLG) weiter. Am selben Tag wies das OLG per Beschluss darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Beschwerde des Antragsgegners als unzulässig zu verwerfen, weil die Rechtsmittelbegründung nicht innerhalb der geltenden Frist (§ 117 Abs. 1 Satz 3 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) eingegangen sei. Diese beläuft sich bei der Begründung auf zwei Monate ab Bekanntgabe der Entscheidung. Es wurde vom Rechtsanwalt sodann die sogenannte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist beantragt – unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner ansonsten zuverlässigen Kanzleimitarbeiterin, die für das Fristenmanagement zuständig war. Dennoch blieb der Antrag erfolglos.
Es entspricht laut BGH der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein Rechtsanwalt die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen darf. Dennoch muss der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare tun, um die Wahrung der Fristen zu gewährleisten. So hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden, und die Fristen auch in der Handakte einzutragen. Der Anwalt muss die Fristen auch immer dann kontrollieren, wenn ihm die Handakte zur Bearbeitung vorgelegt wird. Dies hat er hier unterlassen – und sein Mandant nun das Nachsehen.
Hinweis: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Der Ehemann kann nun den Anwalt in die Haftung nehmen – ein weiterer für alle Seiten nervenaufreibender Prozess. Besser ist es daher, wenn der Anwalt auch den Mandanten stets über sämtliche Fristen in Kenntnis setzt und somit auch für sich eine weitere Kontrollinstanz einsetzt.
Quelle: BGH, Beschl. v. 31.07.2024 – XII ZB 573/23
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Da ein Familienvater seine Wut nicht unter Kontrolle hatte, wurde ihm aufgegeben, an einem neunmonatigen Antiaggressionstraining teilzunehmen. Weil er diesem nicht nachkam, war es schließlich am Kammergericht in Berlin (KG), die Möglichkeit einer Vollstreckbarkeit zu prüfen.
Zwischen dem Vater zweier Kinder und der Kindsmutter war es in der Vergangenheit im Beisein der beiden Kinder immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Ein Kind wurde sogar von einer vom Vater getretenen Plastikflasche am Kopf getroffen. Deswegen wurde der Vater wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Auch die Polizei wurde schon zur elterlichen Wohnung gerufen. Inzwischen haben sich die Eltern getrennt.
Das Familiengericht (FamG) ordnete für den Vater schließlich die Teilnahme an einem Antiaggressionstraining über neun Monate an, da es eine Kindeswohlgefährdung (§ 1666 Bürgerliches Gesetzbuch) annahm. Doch der Mann weigerte sich, an dieser Maßnahme teilzunehmen. Also wurden ihm Zwangsmittel zur Vollstreckung der Auflage in Form von Zwangsgeld von 500 EUR oder ersatzweise einem Tag Zwangshaft pro 100 EUR angedroht. Dagegen legte er sofortige Beschwerde ein.
Mit seiner Beschwerde hatte er Erfolg. Das KG hob die Zwangsmittelandrohung auf. Die Teilnahme an Beratungsangeboten kann grundsätzlich nicht erzwungen werden. Das regeln § 156 Abs. 1 Satz 4 und 5 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für verfahrensrechtlich erlassene Beratungsauflagen. Zu diesen Beratungsauflagen gehört auch die Teilnahme an einem Antigewalttraining. Auch war die Auflage nicht hinreichend bestimmt, weil keine bestimmte Anzahl von Beratungsterminen genannt worden war.
Hinweis: Wird eine Anordnung zur Teilnahme an einem Gewaltschutztraining erlassen, kann diese nicht vollstreckt werden, wenn der Beschwerte der Maßnahme nicht nachkommt. Eine Vollstreckung kommt nur in Frage, wenn eine konkrete Zahl an Beratungsterminen genannt und beim Beschwerten eine Änderungsbereitschaft zu erkennen ist.
Quelle: KG, Beschl. v. 20.08.2024 – 17 WF 87/24
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Zum Thema Sonstiges
- Als Vertragsstrafe wertbar: Zahlungsbedingungen machen 20-%-Skontoklausel bei Einbauküchenkauf unzulässig
- Betreuungsvertrag im Seniorenheim: Erhöhung von Unterbringungs- und Verpflegungskosten ist zustimmungspflichtig
- Hundezuchtrecht vorbehalten? AGB-Klausel mit vertragsstrafenähnlichem Charakter ist unzulässig
- Kein Widerrufsrecht: Wer nach Beratung die Prozessvollmacht unterzeichnet, muss anwaltlichen Aufwand begleichen
- Neues zur PKH: Wer PKH für Landgerichtsprozesse beantragt, darf auch erst nach Bewilligung auf Anwaltssuche gehen
Wer bei einem mehr als 20%igen Skonto nicht zuschlägt und keine Küche kauft, ist selbst schuld! So in etwa darf man den Gedankengang eines Küchenstudios wohl nachzeichnen, wenn man sich diesen Fall ansieht, der vor dem Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) landete. Doch so großzügig das Angebot auf den ersten Blick auch erschien, auf den zweiten Blick erwies es sich als unzulässig.
Ein Ehepaar hatte sich im Küchenstudio eine Einbauküche nebst Elektrogeräten bestellt. In der Auftragsbestätigung hatte das Küchenstudio einen Gesamtpreis von 70.000 EUR sowie einen “Skontobetrag” von 15.000 EUR für den Fall der vollständigen Zahlung bis zum Tag der Lieferung und Rechnungsstellung ausgewiesen. Bei Lieferung und Montage der Küche erhielt das Ehepaar eine Rechnung, die auf seinen Hinweis unter anderem bei der Höhe der Mehrwertsteuer korrigiert wurde. Etwa eine Woche nach Erhalt der korrigierten Rechnung überwiesen die Eheleute den um den “Skontobetrag” reduzierten Betrag bis auf einen Restbetrag von knapp 3.000 EUR unter Verweis auf noch ausstehende Arbeiten. Wenige Tage später wiesen sie auch diesen Betrag an, nachdem das Küchenstudio ihnen mitgeteilt hatte, der Skontoabzug setze eine vollständige Zahlung voraus. Nach Mängelrügen und darauffolgenden Nachbesserungsarbeiten stellte das Studio den Eheleuten etwa drei Monate nach der ersten Rechnungslegung schließlich einen weiteren Betrag von etwa 1.000 EUR für Arbeiten, die bei Montage der Küche erledigt worden waren, in Rechnung. Nun aber war Schluss mit der Geduld des Ehepaars, so dass das Küchenstudio diesen Betrag sowie den von den Beklagten in Abzug gebrachten “Skontobetrag” einklagen musste – dies allerdings vergeblich.
Das OLG erklärte die Vertragsklausel für unwirksam. Denn eine derartige Klausel, nach der sich der Preis für die Lieferung und Montage einer Einbauküche nur dann um über 20 % reduziert, wenn der Kunde den reduzierten Küchengesamtpreis bis zum Tag der Lieferung und Rechnungsstellung zahlt, sei schlichtweg unzulässig. Der “Skontobetrag” kann in diesem Fall aufgrund seines Umfangs und im Verhältnis zum Gesamtküchenpreis nämlich als unzulässige Vertragsstrafe gewertet werden.
Hinweis: Die Klausel war also unwirksam, und deshalb schuldeten die Käufer lediglich den als “Sonderpreis” vereinbarten Betrag – also den Preis abzüglich des Skontobetrags. Nach einem entsprechenden Hinweisbeschluss des OLG nahm das Küchenstudio die Berufung zurück.
Quelle: OLG Zweibrücken, Urt. v. 26.06.2024 – 5 U 38/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 11/2024)
Die überall spürbaren Preissteigerungen machen natürlich auch vor Bewohnern von Seniorenheimen nicht Halt. Dass eine Erhöhung der dort anfallenden Unterbringungs- und Verpflegungskosten jedoch ebenso eine Zustimmung der Nutzer verlangt wie sonst auch im Mietrecht, bewies ein Verbraucherverein mit seiner erfolgreichen Klage vor dem Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG).
Eine Seniorenresidenz hatte eine Entgelterhöhung angekündigt. Das Schreiben ging an alle Bewohner, Angehörige und Betreuer ihrer Einrichtung. Damit war ein Verbraucherverein jedoch nicht einverstanden, da er der Ansicht war, das Anschreiben unterscheide nicht hinlänglich zwischen Einzel- und Doppelzimmern und führe den Umlagemaßstab nicht an. Die Begründung für die einzelnen Kostensteigerungen sei daher nicht schlüssig nachzuvollziehen. Die Mieterhöhung und die Instandhaltungskostensteigerungen hätten konkret beziffert werden müssen. Ferner werde der Eindruck erweckt, dass die Erhöhung auch ohne Zustimmung der Bewohner wirksam werde. Stattdessen hätte eine von beiden Seiten zu unterzeichnende Nachtragsvereinbarung vorgesehen werden müssen.
Der entsprechenden Unterlassungsklage gab das OLG statt. Das Erhöhungsschreiben entsprach nicht den Anforderungen des § 9 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz. Das Schreiben beinhaltete keinen klaren Umlagemaßstab. Insbesondere jedoch erweckte es zudem den Eindruck, dass die Erhöhung allein aufgrund des Schreibens und nach Ablauf der dort genannten Frist eintrete. Es schien damit vollendete Tatsachen zu schaffen – die Heimbewohner hätten jedoch ein Zustimmungsrecht gehabt.
Hinweis: Wer Mieten erhöht, muss sich exakt an die gesetzlichen Vorgaben halten. Das gilt sowohl für die Benutzungsentgelte im Seniorenheim als auch für die normalen Mietzahlungen auf dem freien Wohnungsmarkt.
Quelle: OLG Zweibrücken, Urt. v. 20.08.2024 – 8 U 62/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 11/2024)
Wer Verträge ohne rechtlichen Beistand oder Fachkenntnis erstellt, riskiert, dass sie sich lesen wie Wunschzettel und vor Gericht auch entsprechend behandelt werden. Im Fall vor dem Landgericht Köln (LG) führte eine Züchterin von Rassehunden eine Vertragsklausel in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auf, wie mit den von ihr veräußerten Hunden weiterhin wunschgemäß zu verfahren sei – am geltenden Recht vorbei.
Die gewerbliche Hundezüchterin hatte einen Hund für 2.200 EUR verkauft. In den AGB des schriftlichen Kaufvertrags war unter anderem festgehalten, dass der Käufer den fünffachen Kaufpreis zahlen müsse – also 11.000 EUR -, wenn er nicht innerhalb des ersten Jahres nach Übergabe des Tiers schriftlich nachweist, dass dieses nicht zu einer Zucht oder Ähnlichem verwendet wird oder verwendet werden kann (beispielsweise wegen Kastration oder Sterilisation). Ebenso festgehalten war, dass die Käuferin den Hund – sollte sich dieser zur Zucht eignen – für die Zeit der Züchtung an die Verkäuferin aushändigen müsse, da das Zuchtrecht bei der Züchterin verbleibe. Sollte diese allerdings kein Interesse an einem Wurf haben, müsse der Hund unmittelbar kastriert werden. Die Züchterin forderte den Käufer daraufhin mehrfach auf, den Hund untersuchen und die Zuchttauglichkeit durch einen Tierarzt beurteilen zu lassen. Schließlich klagte sie den fünffachen Kaufpreis ein.
Die Klage wurde abgewiesen, denn die Richter des LG hielten die Klausel mit vertragsstrafenähnlichem Charakter für unwirksam. Zum einen seien Fälle denkbar, in denen der Nachweis, dass der Hund nicht zur Zucht geeignet sei, auch aus anderen Gründen nicht fristgerecht vorgelegt werden könne – hier fehlte insbesondere eine Einschränkung für den Fall, dass der Käufer das Fehlen eines Nachweises nicht zu vertreten habe. Zum anderen liege der Klausel zufolge bei bestehender Zuchtmöglichkeit die Wahl, den Hund zur Zucht aufzufordern oder den stark erhöhten Kaufpreis zu verlangen, allein bei der Verkäuferin. Dadurch jedoch werde in die berechtigten Interessen der Käuferin eingegriffen – ein Grund mehr, diese AGB für unwirksam zu erklären.
Hinweis: Wer rechtssichere Kaufverträge nutzen möchte, sollte sie von einem Rechtsanwalt erstellen lassen.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 16.07.2024 – 30 O 533/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 11/2024)
Gerichtliche Streitigkeiten sind für die meisten Menschen belastend genug, da muss nicht noch Ärger mit dem eigenen Rechtsanwalt hinzukommen. Wenn man diesem aber nach einem Beratungsgespräch eine Prozessvollmacht unterschreibt, muss man damit rechnen, dass ein späterer Sinneswandel eine teure Angelegenheit werden kann – so geschehen im folgenden Fall des Amtsgerichts Brühl (AG).
Ein selbständiger Maler ging zu einem Rechtsanwalt, nachdem er ein Dreivierteljahr zuvor einen Unfall bei der Arbeit erlitten hatte, weil er von einer Leiter abgerutscht war. Von seiner Versicherung hatte er zwar bereits Zahlungen erhalten, dann zweifelte diese aber den Arbeitsunfall des Mannes an und lehnte weitere Leistungen ab. Die Versicherung stellte ihm stattdessen in Aussicht, auf eine Rückforderung des bereits gezahlten Betrags zu verzichten, wenn der Maler die Angelegenheit seinerseits abschließen würde. Im Anschluss an das Gespräch mit dem Rechtsanwalt unterzeichnete der Maler eine Vollmacht, woraufhin der Anwalt am nächsten Tag ein Schreiben an die Versicherung erstellte. Zwei Tage später teilte der Maler dem Anwalt dann jedoch mit, dass er nun doch von einer Beauftragung Abstand nehmen wolle. Die Akte wurde wunschgemäß geschlossen und der Anwalt übersandte dem Mann eine Rechnung von etwas über 3.000 EUR für seine geleistete Arbeit. Als diese Rechnung nicht bezahlt wurde, verklagte nun der Rechtsanwalt den Maler.
Das AG glaubte dem Anwalt, dass der Vertrag zustande gekommen war. Es würde schließlich keinen Sinn ergeben, zum Abschluss des Beratungsgesprächs eine umfassende Prozessvollmacht zu unterzeichnen, wenn der Mandant im unmittelbar vorausgehenden Gespräch keine nach außen gerichtete Tätigkeit des Rechtsanwalts verlangt hätte. Deshalb musste der Maler zahlen – wenngleich etwas weniger als ursprünglich eingeklagt.
Hinweis: Anwaltliche Gebührenrechnungen sind für Dritte nur schwer verständlich. Hier hilft es, miteinander zu sprechen und den Rechtsanwalt des Vertrauens zu fragen, wie genau sich die Gebühren zusammensetzen.
Quelle: AG Brühl, Urt. v. 12.07.2024 – 23 C 170/23
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(aus: Ausgabe 11/2024)
Wem finanzielle Mittel zur Durchführung von Gerichtsverfahren fehlen, der kann Prozesskostenhilfe (PKH; im Familienrecht und gewerblichen Rechtsschutz auch Verfahrenskostenhilfe, VKH) beantragen. Um diese bewilligt zu bekommen und Mutwilligkeit auszuschließen, ist eine hinreichende Aussicht auf Erfolg eine Grundvoraussetzung. Bei dieser Vorbewertung sollten Gerichte aber stets mit Augenmaß vorgehen, wie das folgende Urteil des Oberlandesgerichts Zweibrücken (OLG) beweist.
Wer mehr als 5.000 EUR einklagen möchte, kann das nur vor dem Landgericht. Dort herrscht allerdings Anwaltszwang, was naheliegend bedeutet, dass sich Kläger von einem Rechtsanwalt vertreten lassen müssen. Bei entsprechender Gewährung übernimmt der Staat die Prozesskosten, sofern eine Bedürftigkeit vorliegt und vor allem auch eine Aussicht auf Erfolg in der Sache selbst besteht. Nun hatte ein Mann ohne Rechtsanwalt zunächst PKH für ein Klageverfahren beantragt, mit dem er ein Schmerzensgeld von 25.000 EUR erstreiten wollte. Das erstinstanzliche Landgericht hatte den Antrag jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete mangels anwaltlicher Vertretung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Dagegen legte der Mann sofortige Beschwerde ein.
Das OLG gab dem Mann recht. PKH kann in einem sogenannten Anwaltsprozess nicht einfach mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass der Antragsteller einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht benannt und seine Bemühungen nicht ausreichend dargelegt habe, einen solchen zu finden. Vielmehr ist ein zweistufiges Verfahren geboten: Es ist dem Antragsteller nach (erstens) erfolgter Bewilligung die Gelegenheit zu geben, (zweitens) einen zur Vertretung bereiten Anwalt zu finden.
Hinweis: Im außergerichtlichen Bereich gibt es anstelle der PKH die Beratungshilfe. Eine entsprechende Beratungshilfeberechtigung können Bedürftige beim zuständigen Amtsgericht beantragen und sich dann von einem Rechtsanwalt beraten lassen.
Quelle: OLG Köln, Urt. v. 20.08.2024 – 5 W 44/24
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(aus: Ausgabe 11/2024)