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Zum Thema Arbeitsrecht
- 15.000 EUR Entschädigung: Dauerhafte Kameraüberwachung am Arbeitsplatz kann Arbeitgeber teuer zu stehen kommen
- Arbeitgeber muss nicht warten: Kein Sozialplan, wenn Betriebsrat erst nach Beginn von Betriebsänderungen gegründet wird
- Entscheidungszeitpunkt entscheidet: Gesetzlicher Schwellenwert für Kündigungsschutz nicht durch Staffelentlassungen absenkbar
- Vertrauen zerstört: Fristlose Kündigung nach körperlicher Attacke auf Vorgesetzten rechtens
- Zentrales Schutzrecht: Kein Verzicht auf Arbeitszeugnis vor dem Ende des Jobs möglich
Unternehmen bestehen nachvollziehbarerweise auf die Kontrolle über alle betrieblichen Abläufe. Dass bei der Videoüberwachung des Betriebsgeländes dennoch Vorsicht geboten ist, zeigt dieser Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) landete. Auf dem Richtertisch lag eine fast zwei Jahre andauernde, unzulässige Videoüberwachung am Arbeitsplatz und damit auch eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts.
Ein Stahlunternehmen hatte auf seinem Betriebsgelände insgesamt 34 Kameras installiert. Diese waren rund um die Uhr mit hoher Bildqualität aktiv – und das auch in den Büroräumen. Die Aufnahmen konnten live eingesehen werden oder bis zu 48 Stunden nach Aufzeichnung, denn so lang wurden sie gespeichert. Entsprechende Hinweisschilder wiesen zwar auf die allgemeine Überwachung hin, doch die Kameras erfassten nahezu alle Bereiche des Betriebs. Ein Produktionsmitarbeiter, der dort seit August 2020 arbeitete, hatte der Überwachung mehrfach widersprochen. Im Arbeitsvertrag stand zwar, dass personenbezogene Daten verarbeitet werden dürften, doch eine ausdrückliche Zustimmung zur Kameraüberwachung lag nicht vor. Schon 2023 hatte es einen Streit über die Kameras gegeben, den beide Seiten damals durch Vergleich beendeten. An der Überwachung änderte sich jedoch nichts. Schließlich verlangte der Mitarbeiter Auskunft über die Aufzeichnungen, Unterlassung der Überwachung – und eine Entschädigung. Das Unternehmen verteidigte sich hingegen mit dem Argument, die Kameras dienten der Sicherheit auf dem Gelände.
Das LAG sah das anders, indem es feststellte, dass die Überwachung übertrieben und rechtswidrig war. Sie griff massiv in das Persönlichkeitsrecht des Beschäftigten ein, weil sie über 22 Monate nahezu ununterbrochen lief. Eine wirksame Einwilligung habe nicht vorgelegen, da Beschäftigte wegen des Abhängigkeitsverhältnisses gegenüber dem Arbeitgeber ihre Zustimmung nicht frei erteilen könnten. Auch andere Rechtsgrundlagen wie das Bundesdatenschutzgesetz oder die Datenschutz-Grundverordnung rechtfertigten die Maßnahme nicht. Nach Ansicht des Gerichts war die Überwachung unverhältnismäßig, weil keine konkreten Gefahren oder Sicherheitsprobleme belegt worden waren. Wegen der Schwere des Eingriffs und dessen langer Dauer hielt das LAG eine Entschädigung von 15.000 EUR für angemessen.
Hinweis: Dauerhafte Kameraüberwachung ohne rechtliche Grundlage verletzt das Persönlichkeitsrecht. Beschäftigte müssen einer solchen Überwachung freiwillig zustimmen, sonst ist sie unzulässig. Arbeitgeber sollten prüfen, ob Kameras wirklich notwendig sind, und sie nur in Ausnahmefällen einsetzen.
Quelle: LAG Hamm, Urt. v. 28.05.2025 – 18 SLa 959/24
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(aus: Ausgabe 12/2025)
Die Zeiten zurückdrehen zu können, wünschten sich offensichtlich einige Arbeitnehmer, die sich mit ihrer Kündigung konfrontiert sahen. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) musste aber im Hier und Jetzt entscheiden und darüber befinden, ob ein Betriebsrat einen Anspruch auf einen Sozialplan haben kann, wenn der Arbeitgeber bereits mit der Betriebsänderung begonnen hatte, als der Betriebsrat noch gar nicht existierte.
Ein Unternehmen, das Parkräume bewirtschaftete, hatte seinen Hauptsitz in Deutschland als europäisches Zentrum des Konzerns genutzt. Ende März 2025 arbeiteten dort noch 46 Personen. Anfang April kündigte die Firma 32 Beschäftigten, weil große Teile des Betriebs verlagert werden sollten. Den Betroffenen bot das Unternehmen Abwicklungsverträge mit Abfindungen an. Einige Kündigungen betrafen auch Beschäftigte mit besonderem Kündigungsschutz. Erst nach diesen Kündigungen wurde ein Betriebsrat gewählt. Die Wahl fand im April 2025 statt, die erste Sitzung war am 23.04. Der Betriebsrat wollte eine Einigungsstelle einsetzen lassen, um über einen Sozialplan zu verhandeln. Er war der Meinung, die Kündigungen seien Teil einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung. Außerdem habe die Unternehmensleitung auf einer Versammlung im März 2025 falsche Angaben zum Stand der Planungen gemacht, um die Wahl des Betriebsrats zu verzögern.
Das Arbeitsgericht lehnte den Antrag ab, und auch das LAG bestätigte diese Entscheidung. Es bestehe schlichtweg kein Anspruch auf einen Sozialplan, wenn der Arbeitgeber mit der Maßnahme bereits begonnen hat, bevor ein Betriebsrat gebildet wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müsse ein Arbeitgeber in diesem Fall nicht abwarten und darf mit der Umsetzung starten, sofern er die Gründung eines Betriebsrats nicht behindert. Auch die Täuschung über den Planungsstand änderte daran nichts. Zwar könne eine solche Täuschung Schadensersatzansprüche begründen, jedoch diene sie nicht dem Zweck, die rechtzeitige Bildung eines Betriebsrats zu sichern. Das LAG stellte außerdem klar, dass es keinen rechtlichen “Wettlauf” zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gebe. Der Arbeitgeber darf die Umsetzung einer Maßnahme sogar beschleunigen, wenn die Entscheidung bereits gefallen ist.
Hinweis: Ein Sozialplan kann nur verlangt werden, wenn der Betriebsrat schon existiert, bevor die Betriebsänderung beginnt. Arbeitgeber dürfen geplante Maßnahmen durchführen, ohne auf die Wahl des Betriebsrats zu warten.
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Beschl. v. 30.09.2025 – 2 TaBV 2/25
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(aus: Ausgabe 12/2025)
Auch in diesem Arbeitsrechtsfall war das “Was” untrennbar mit dem “Wann” verbunden. Bei Ersterem handelte es sich um einen geplanten Personalabbau und die schließlich auch durchgeführten Kündigungen. Das “Wann” spielte für das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) dabei das entscheidende Zünglein an der Waage. Denn zum tatsächlichen Kündigungszeitpunkt waren nur noch fünf Beschäftigte übrig – zu wenig für den gesetzlichen Kündigungsschutz.
Ein Konstrukteur war seit 2004 in einem großen Konzern mit fast 49.000 Beschäftigten angestellt. Nach fast 20 Jahren wurde seine Abteilung im Juli 2023 auf ein anderes Unternehmen übertragen. Er und 37 Kollegen lehnten den Übergang ab. Dadurch blieb ein sogenannter Restbetrieb beim bisherigen Arbeitgeber bestehen, bei dem sie weiterarbeiteten. Die Firma teilte ihm mit, dass er vorerst dort verbleiben könne. In den folgenden Monaten bewarb er sich intern auf neue Stellen, erhielt jedoch keine Zusage. Schließlich kündigte ihm das Unternehmen im Februar 2024 zum 31.08.2024. Zu diesem Zeitpunkt waren im Restbetrieb nur noch fünf Personen beschäftigt. Der Konstrukteur hielt die Kündigung für unwirksam und meinte, dass das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) greifen müsse, weil im Juli 2023 – also beim Entstehen des Restbetriebs – noch deutlich mehr als zehn Beschäftigte dort tätig gewesen seien. Die Firma sah das anders und argumentierte, der Betrieb gelte wegen der geringen Anzahl an Arbeitnehmern zum Kündigungszeitpunkt als Kleinbetrieb.
Das Arbeitsgericht folgte zunächst der Ansicht des Unternehmens. Doch in der Berufung bekam der Beschäftigte recht. Das LAG stellte klar, dass für die Anwendung des KSchG die Mitarbeiterzahl zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Personalabbau zähle. Wenn ein Arbeitgeber eine einheitliche Abbauplanung verfolge, könne er den Schutz der Beschäftigten nicht dadurch umgehen, dass er Kündigungen zeitlich versetzt ausspreche. Entscheidend sei, wie viele Personen ursprünglich von der Maßnahme betroffen gewesen seien. So werde verhindert, dass Unternehmen durch gestaffelte Entlassungen den gesetzlichen Schwellenwert von mehr als zehn Beschäftigten unterlaufen.
Hinweis: Für die Anwendung des KSchG zählt der Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung, nicht der Zugang der Kündigung. Arbeitgeber sollten deshalb ihre Personalplanungen genau dokumentieren.
Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 25.07.2025 – 12 SLa 640/25
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(aus: Ausgabe 12/2025)
Ab wann sich ein Mensch bedroht fühlt, ist immer individuell, so dass es eindeutiger Grenzen bedarf, wo verschiedenste Menschen miteinander klarkommen müssen. Dennoch waren sich in diesem Fall Arbeitsgericht (ArbG) und das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) nicht einig. Im Raum stand die fristlose Kündigung nach einer Attacke ohne schwere Gewalt.
Der Mann arbeitete seit Anfang 2019 als Be- und Entlader und nutzte während seiner Arbeitszeit sein privates Handy, obwohl das im Betrieb verboten war. Als sein Gruppenleiter ihn darauf hinwies, reagierte der Mann heftig. Er schrie den Vorgesetzten mit den Worten “Hau ab hier!” an, stieß ihn an der Schulter und trat in seine Richtung, wobei es zu einer leichten Berührung kam. Anschließend drohte er mit weiteren Worten und erhobenem Zeigefinger, bevor er wieder auf sein Handy schaute. Der gesamte Vorfall wurde auf Video festgehalten. Drei Tage später informierte die Firma den Betriebsrat über die geplante Kündigung. Nachdem dieser zugestimmt hatte, wurde das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich beendet. Der Beschäftigte wehrte sich dagegen vor Gericht.
Das ArbG gab ihm zunächst recht, doch das LAG sah das anders und bestätigte die Kündigung. Nach Ansicht des LAG lag ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Bürgerliches Gesetzbuch vor. Auch wenn der Angriff keine erheblichen Verletzungen verursachte, war das Verhalten so respektlos und aggressiv, dass der Arbeitgeber die Zusammenarbeit nicht mehr fortsetzen musste. Der Vorgesetzte hatte sich korrekt verhalten und auf die Einhaltung der betrieblichen Regeln geachtet. Das Gericht betonte, dass schon die verbale Aufforderung “Hau ab hier!” eine erhebliche Pflichtverletzung darstellte. Durch das Stoßen und Treten verschärfte der Mann die Situation zusätzlich. Eine Abmahnung sei daher überflüssig gewesen, da das Vertrauen endgültig zerstört war.
Hinweis: Wer seinen Vorgesetzten körperlich angreift, riskiert stets den sofortigen Verlust des Arbeitsplatzes. Auch kleine körperliche Gesten können schwerwiegende Folgen haben, wenn sie mit Respektlosigkeit verbunden sind. Arbeitgeber sollten solche Vorfälle genau dokumentieren.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 25.08.2025 – 15 SLa 315/25
| zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2025)
In Sachen Arbeitszeugnis kommt es zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer immer wieder zu Streit, der erst von den Gerichten entschieden werden kann. Wäre es da für Arbeitgeber nicht praktisch, diesen Aufwand vertraglich auszuschließen, indem er sich beispielsweise auf ausländisches Recht beruft? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) weiß nicht nur die Antwort auf diese Frage, sondern auch die einleuchtende Begründung – völlig egal, was in anderen Ländern gilt.
In dem Fall hatten ein Unternehmen und ein Beschäftigter im Arbeitsvertrag festgelegt, dass das Recht des US-Bundesstaats Illinois gelten sollte. Nach diesem Recht gab es keinen Anspruch auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. Als das Arbeitsverhältnis endete, wollte der Beschäftigte trotzdem ein solches Zeugnis erhalten. Der Arbeitgeber lehnte das ab und verwies auf die Rechtswahl im Vertrag.
Das BAG sah das jedoch anders und legte dar, dass bestimmte Grundregeln des deutschen Arbeitsrechts immer gelten – unabhängig davon, welches ausländische Recht vereinbart wurde. Zu diesen Grundregeln gehört nach § 109 Abs. 1 Gewerbeordnung auch das Recht auf ein qualifiziertes Zeugnis. Dieses Gesetz schützt Beschäftigte und darf nicht durch Vertragsklauseln oder Rechtswahl umgangen werden. Nach Ansicht des Gerichts ist ein Arbeitszeugnis wichtig für die weitere berufliche Laufbahn und beeinflusst die Chancen auf dem Arbeitsmarkt erheblich. Deshalb durfte auch in diesem Fall niemand im Voraus auf diesen Anspruch verzichten. Die Vereinbarungen, die einen solchen Verzicht vorsahen, waren unwirksam und galten als nichtig. Auch der Hinweis auf ausländisches Recht half dem Arbeitgeber nicht weiter, weil das deutsche Arbeitsrecht in solchen Schutzfragen stets Vorrang hat.
Hinweis: Ein Arbeitszeugnis ist ein zentrales Schutzrecht und kann nicht durch Vertragsklauseln ausgeschlossen werden. Selbst wenn im Vertrag ausländisches Recht gilt, bleibt der Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis bestehen. Arbeitgeber sollten daher keine derartigen Verzichtsregelungen aufnehmen.
Quelle: BAG, Urt. v. 18.06.2025 – 2 AZR 96/24 (B)
| zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 12/2025)
