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Zum Thema Arbeitsrecht
- Bei schwerwiegenden Verdachtsfällen: Ergebnisse von nicht anonymisierter Mitarbeiterbefragung können Kündigung nach sich ziehen
- Keine organisatorische Eigenständigkeit: Wahlvorstand scheitert mit Vorbereitung einer Betriebsratswahl
- Pflegebedürftige Angehörige: Keine Arbeitszeitverkürzung, wenn betriebliche Gründe nachvollziehbar dagegen sprechen
- Schwerbehinderte Arbeitnehmer: Kein Präventionsverfahren bei fachlich begründeter Kündigung innerhalb der Probezeit
- Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung: Hohe Abfindung nach sexistischem, übergriffigen und entwürdigenden Verhalten des Geschäftsführers
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) befasste sich mit der Frage, ob sich eine Kündigung unter bestimmten Voraussetzungen auf Ergebnisse einer nicht anonymisierten Mitarbeiterbefragung stützen darf. Was sich auf den ersten Blick etwas bedrohlich liest, löst sich auf, wenn man den Sachverhalt genauer ins Auge fasst, bei dem auch das Machtgefüge in Betrieben eine Rolle spielt.
Ein langjähriger Schichtführer stand im Verdacht, Betriebsmaterial für private Zwecke genutzt und Kollegen während der Arbeitszeit zu privaten Arbeiten gedrängt zu haben. Nach Darstellung des Unternehmens nutzte er seine Stellung aus, um andere unter Druck zu setzen – beispielsweise um private Dinge aus Firmeneigentum für ihn anzufertigen. Um den Vorwürfen nachzugehen, verteilte der Arbeitgeber einen ausführlichen Fragebogen mit rund 150 Fragen an alle Beschäftigten. Abgefragt wurden Beobachtungen zu Arbeitsabläufen, möglichen Pflichtverstößen und dem Verhalten des Schichtführers. Die Antworten waren nicht anonymisiert. Zwar wurde der Betriebsrat über die Maßnahme informiert, seine ausdrückliche Zustimmung lag jedoch nicht vor. Der Schichtführer empfand die Befragung schließlich als Angriff auf seine Person und erklärte, sein Ruf sei beschädigt und er fühle sich in seiner Würde verletzt. Er hielt die Maßnahme für überzogen, unverhältnismäßig und rechtlich unzulässig. Außerdem kritisierte er, dass der Betriebsrat nicht beteiligt worden sei.
Das LAG sah dies anders und kam zu dem Ergebnis, dass die außerordentliche Kündigung durchaus wirksam war. Mehrere Beschäftigte hatten bestätigt, dass der Schichtführer sie zu privaten Arbeiten gedrängt hatte und dafür Betriebsmaterial nutzte. Durch die Kombination aus Pflichtverletzungen und Vorgesetztenrolle war das Vertrauen in ihn dauerhaft zerstört. Damit lag ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung nach § 626 Bürgerliches Gesetzbuch vor. Besonders wichtig war die Einschätzung des Gerichts zur Befragung: Diese sei rechtlich zulässig gewesen – auch wenn die Antworten nicht anonymisiert erfolgten. Entscheidend sei gewesen, dass sie einem konkreten Verdacht nachging und verhältnismäßig war. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 Bundesdatenschutzgesetz sei eine solche Maßnahme im Rahmen der Aufklärung erlaubt. Auch seien die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht verletzt worden, so dass die Befragung ohne dessen Zustimmung zulässig war.
Hinweis: Arbeitgeber dürfen bei schwerwiegenden Verdachtsfällen auch Befragungen im Betrieb durchführen. Wichtig ist, dass die Maßnahme verhältnismäßig bleibt und sich auf einen konkreten Vorwurf bezieht. So kann eine Kündigung rechtlich wirksam abgesichert werden.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 15.01.2025 – 2 SLa 31/24
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(aus: Ausgabe 10/2025)
Betriebsräte sind ein scharfes Arbeitnehmerschwert, dem sich Arbeitgeber stellen müssen, um Rechte der Belegschaft zu wahren. Für deren Gründung müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Das Arbeitsgericht Köln (ArbG) befasste sich kürzlich damit, ob ein Wahlvorstand im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Anspruch auf Informationen und Unterstützung für eine Betriebsratswahl hat.
Eine Fluggesellschaft mit Sitz in Malta betrieb am Flughafen Köln/Bonn einen sogenannten “Basestandort”, an dem eine Gruppe von Beschäftigten eingesetzt war. Ein Wahlvorstand wollte dort einen Betriebsrat gründen und verlangte von seiner Arbeitgeberin Informationen und Materialien, um die Wahl entsprechend vorzubereiten. Diese verweigerte jedoch die Forderungen des Wahlvorstands und berief sich dabei darauf, dass der Standort überhaupt keine eigenständige betriebliche Einheit darstelle.
Das ArbG musste nun prüfen, ob an der Behauptung der Arbeitgeberin etwas dran sei. Dabei kam es schließlich auch zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für einen eigenen Betriebsrat nicht vorlagen. Die Beschäftigten waren organisatorisch eng mit der Zentrale im Ausland verbunden. Vor Ort gab es hingegen keine ausreichende Eigenständigkeit, die eine Betriebsratswahl rechtfertigen konnte. Die Tätigkeiten am Flughafen bezogen sich ausschließlich auf luftverkehrsrechtliche Aufgaben wie Flugabfertigung und Einsatzplanung. Solche Aufgaben genügten nach Ansicht des ArbG nicht, um eine betriebsratsfähige Einheit zu begründen. Zudem stellte das Gericht klar, dass ein Hauptbetrieb im Inland fehlte, an den die Base hätte angebunden werden können. Für die Bildung eines Betriebsrats sei eine solche organisatorische Struktur notwendig. Zudem stellte das Gericht fest, dass keine besondere Eilbedürftigkeit vorlag. Der Wahlvorstand hatte seinerseits bereits erklärt, das Hauptsacheverfahren abzuwarten. In dieser Situation sah das Gericht keinen Grund, im Wege einer einstweiligen Verfügung vorläufige Rechte zuzusprechen. Ein Abwarten sei zumutbar, da keine gravierenden Nachteile drohten. Damit wurde der Antrag des Wahlvorstands zurückgewiesen.
Hinweis: Ein Standort ist nur dann betriebsratsfähig, wenn er ausreichend organisatorisch selbständig ist. Fehlt diese Voraussetzung, kann dort kein Betriebsrat gewählt werden. Eilrechtsschutz kommt nur in Betracht, wenn eine sofortige Entscheidung unbedingt notwendig ist.
Quelle: ArbG Köln, Beschl. v. 16.07.2025 – 18 BVGa 9/25
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(aus: Ausgabe 10/2025)
Wer sich der Herausforderung stellen will, Angehörige zu pflegen, hofft oft auf Möglichkeiten, seine Arbeitszeiten zu reduzieren. Doch nicht jedem Unternehmen und nicht bei jedem Aufgabenfeld ist eine solche Arbeitszeitverkürzung möglich. Wann ein Arbeitgeber die Reduzierung der Arbeitszeit eines Arbeitnehmers wegen Pflege eines seiner Angehörigen daher ablehnen darf, musste das Arbeitsgericht Suhl (ArbG) entscheiden.
Ein Außendienstmitarbeiter betreute Kunden in Ost- sowie Süddeutschland und arbeitete normalerweise vier Tage vor Ort und einen Tag im Homeoffice. Anfang März 2024 beantragte er eine Reduzierung seiner Arbeitszeit von 40 auf 20 Stunden pro Woche, verteilt auf drei Tage, um seine Eltern mit Pflegegrad 3 zu pflegen. Der Arbeitgeber schaltete daraufhin eine interne und externe Stellenausschreibung für die freiwerdende Teilzeitstelle. Nach einem Monat ohne Bewerber lehnte er den Antrag seines Außenmitarbeiters schriftlich ab. Daher war es nun am Gericht zu prüfen, ob der Antrag wegen dringender betrieblicher Gründe abgelehnt werden durfte.
Das ArbG entschied, dass die Ablehnung in diesem Fall durchaus berechtigt gewesen war. Die Aufgaben des Mitarbeiters konnten schlichtweg nicht aufgeteilt werden, da die Arbeitszeit nicht zum Organisationsplan passte und kein Ersatz durch vorhandene oder neue Mitarbeiter möglich war. Die wenigen Kollegen konnten die Außendiensttermine mit Übernachtungen nicht übernehmen, neue Teilzeitkräfte fanden sich nicht und alternative freie Stellen waren für den Außendienstler einfach nicht geeignet. Das Gericht wies darauf hin, dass der Arbeitgeber nicht prüfen musste, ob Kundenbesuche per Videokonferenz möglich seien. Die Gestaltung der Vertriebsstruktur unterliege schließlich der unternehmerischen Freiheit, und Ersatzkräfte aus anderen Unternehmensteilen müssten nicht berücksichtigt werden. Auch formell war die Ablehnung rechtzeitig erfolgt, obwohl die Stellenausschreibung noch lief.
Hinweis: Eine Reduzierung der Arbeitszeit wegen Pflege kann abgelehnt werden, sobald dringende betriebliche Gründe vorliegen. Dazu zählt vor allem, dass kein Ersatz möglich ist. Die betriebliche Situation sollte dabei stets sorgfältig dokumentiert werden, um den Ablehnungsgrund nachvollziehbar darzustellen.
Quelle: ArbG Suhl, Urt. v. 07.04.2025 – 5 Ca 1138/24
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(aus: Ausgabe 10/2025)
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen gut begründete Sonderrechte, wie etwa einen gesonderten Kündigungsschutz, Zusatzurlaub und auch eine Schwerbehindertenvertretung, sobald regelmäßig wenigstens fünf schwerbehinderte Menschen im Betrieb beschäftigt sind. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste sich mit der Frage befassen, ob schwerbehinderte Menschen vor einer Kündigung auch in ihrer Probezeit durch ein besonderes Verfahren geschützt sind.
Ein Mann mit einem Grad der Behinderung von 80 begann Anfang 2023 eine Arbeit als Leiter der Haus- und Betriebstechnik in einem Betrieb ohne Betriebsrat und ohne Schwerbehindertenvertretung. Von Beginn an war eine Probezeit von sechs Monaten vereinbart. Nach drei Monaten beendete der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, weil er den Mann für fachlich ungeeignet hielt, was auch dem Integrationsamt angezeigt wurde. Der Mann wollte die Kündigung nicht hinnehmen und erhob Klage, denn er meinte, dass sein Arbeitgeber vor der Kündigung ein Präventionsverfahren nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch hätte durchführen müssen. Zudem sei ihm kein Arbeitsplatz angeboten worden, der besser auf seine Behinderung zugeschnitten gewesen wäre.
Das BAG stellte jedoch klar, dass ein Präventionsverfahren nur verlangt werden könne, wenn das Kündigungsschutzgesetz bereits greife – das aber wäre erst nach sechs Monaten der Fall gewesen, denn die Probezeit gehört in die sogenannte Wartezeit. Deshalb musste der Arbeitgeber innerhalb dieser Phase kein Präventionsverfahren einleiten. Auch ein behindertengerechter Arbeitsplatz musste nicht angeboten werden, solange die Kündigung nicht wegen der Behinderung ausgesprochen wurde. Entscheidend war vielmehr, dass die Kündigung auf fachlichen Gründen beruhte und nicht auf der Schwerbehinderung des Mannes. Das BAG betonte zudem, dass eine gegenteilige frühere Entscheidung eines Landesarbeitsgerichts mit dieser Rechtslage nicht vereinbar war. Damit bestätigte das BAG, dass Kündigungen in der Probezeit auch bei schwerbehinderten Beschäftigten möglich waren, ohne dass zuvor ein besonderes Verfahren eingeleitet werden musste.
Hinweis: Ein Präventionsverfahren hätte durchgeführt werden müssen, wenn das Kündigungsschutzgesetz gegolten hätte. In der Probezeit bestand diese Pflicht hier nicht.
Quelle: BAG, Urt. v. 03.04.2025 – 2 AZR 178/24
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(aus: Ausgabe 10/2025)
Dass der Missbrauch der eigenen Machtstellung Vorgesetzte richtig teuer zu stehen kommen kann, zeigt dieser Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Köln (LAG) landete. Auslöser dafür waren zuerst die wiederholten sexistischen Beleidigungen eines Geschäftsführers einer Mitarbeiterin gegenüber und die Tatsache, dass eine Weiterbeschäftigung aufgrund dessen völlig indiskutabel erschien.
Eine langjährige Mitarbeiterin eines Unternehmens hatte sich gegen eine Kündigung gewehrt. Im Laufe des Verfahrens stellte sich heraus, dass der Geschäftsführer sie mehrfach sexistisch und respektlos beleidigt hatte. Die Worte waren derart verletzend, dass es für die Frau unmöglich war, weiterhin in der Firma zu arbeiten. Schon das Arbeitsgericht Bonn (ArbG) entschied, dass der Arbeitgeber keinen rechtmäßigen Grund für die Kündigung nennen konnte. Gleichzeitig hielt das ArbG die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für unzumutbar. Deshalb wurde das Arbeitsverhältnis aufgelöst und die Frau erhielt eine Abfindung von 70.000 EUR. Der Arbeitgeber war mit dieser Entscheidung jedoch nicht einverstanden, da er meinte, die Summe sei übertrieben hoch und nicht gerechtfertigt. Nach seiner Auffassung hätte die Frau durch ihr Verhalten gezeigt, dass sie eigentlich bereit gewesen wäre, im Unternehmen zu bleiben. Er legte daher Berufung ein und der Fall landete beim LAG.
Das Gericht bestätigte im Wesentlichen die Entscheidung der Vorinstanz. Es stellte klar, dass die Aussagen des Geschäftsführers weit über das hinausgingen, was im Berufsleben akzeptabel war. Eine Weiterarbeit war der Frau unter diesen Umständen nicht zuzumuten. Auch die Höhe der Abfindung hielt das Gericht grundsätzlich für angemessen. Besonders schwer wog zudem, dass die Frau durch das Verhalten eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten hatte. Außerdem war die Kündigung nicht rechtmäßig, sondern sozialwidrig. Das Gericht erkannte an, dass der Geschäftsführer seine Machtposition gezielt eingesetzt hatte, um Druck auf die Frau auszuüben und sie aus dem Unternehmen zu drängen. Am Ende reduzierte das Gericht die Abfindung nur geringfügig und sprach der Frau 68.153,80 EUR zu.
Hinweis: Sexistische oder respektlose Beleidigungen durch Vorgesetzte können nicht nur das Arbeitsklima zerstören, sondern auch erhebliche finanzielle Folgen für den Arbeitgeber nach sich ziehen. Eine Abfindung kann dann besonders hoch ausfallen, wenn die betroffene Person stark unter den Angriffen zu leiden hatte. Gerichte prüfen dabei auch, ob Vorgesetzte ihre Macht bewusst missbrauchten.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 09.07.2025 – 4 SLa 97/25
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 10/2025)